Colorado Saga
abgeschlossen und uns die Hand darauf gegeben. Jetzt ist etwas geschehen, wodurch er ein bißchen mehr verdienen kann, und darum weigert er sich, die getroffene Vereinbarung einzuhalten.« »Was könnte denn passiert sein?« wunderte sich Pauls Mutter, aber ihr Mann ging auf die Frage nicht ein, und sie verließ das Zimmer. Henry Garrett nahm die Hand seines Sohnes in die seine und sagte in feierlichem Ton zu ihm: »Wenn du jemandem die Hand auf etwas gibst und dann dein Wort brichst, darfst du mir nie wieder unter die Augen kommen. Der Umgang zwischen Männern gründet sich auf ihre Ehre, und diese fundamentale Wahrheit hat noch kein Wendell begriffen.«
»Henry«, rief seine Frau ins Zimmer, »hör doch die Nachrichten im Radio!« Und als sie erfuhren, daß Krieg war, verstanden sie, warum Philip Wendell seine Zusage zurückgenommen hatte. »Wenn er auf diesen viertausend Morgen Weizen anbaut«, meinte Ruth Garrett, »wird er sehr reich werden... wenn der Krieg länger dauert... «
»Soll er«, sagte ihr Mann, und noch schwelte die Wut in ihm. »Verdien dir dein Geld nie auf diese Weise, Paul. Es steht nicht dafür.«
Seit damals beobachtete Paul Garrett die Wendells mit zunehmendem Interesse und stellte fest, daß sein Vater recht hatte. Verantwortungsgefühl war ihnen fremd. An der Universität hatte Morgan Wendell alles getan, um sich bei wichtigen Leuten beliebt zu machen
- Professoren, Leichtathletiktrainern, Vorsitzenden von Studentenverbindungen, ihnen allen hatte er geschmeichelt - und doch wußte keiner, welche Prinzipien er vertrat. Und mit dieser Einstellung hatte er Erfolg.
Der Erfolg blieb ihm auch später treu. Jetzt erwartete er, von den Wählern eines großen Staates in ein bedeutendes Amt berufen zu werden, und vielleicht war Paul Garrett nur übervorsichtig, wenn er sich die Frage vorlegte, ob er für so einen Mann stimmen sollte. Während wir auf den Eisenhower-Tunnel zuhielten, schaltete er das Bandgerät ein und fing an zu sprechen - so, als läge ihm daran, mir eine genaue
Aufzeichnung seiner Gedankengänge zu überlassen: »Ich habe kein Vertrauen zu ihm, Vernor. So einfach ist das. Es sind nicht die Dinge, die seinen Großeltern angelastet werden... und ich habe Ihnen nicht die ganze Geschichte erzählt, weil sie für Sie nicht von Belang ist. Ich trage ihm auch nicht nach, daß sein Vater ein Gauner war - ich bin nicht dafür, die Sünden der Väter den Söhnen anzulasten. Was mich stört... er ist ein minderwertiges Individuum ohne Prinzipien. Ein Technokrat. Er kann etwas leisten. Er weiß Dinge auseinanderzuhalten. Aber in einer Krise wird ihm das Fundament fehlen, ohne das eine konstruktive Arbeit nicht möglich ist. Er glaubt an nichts. An der Universität hat er nie Vorlesungen besucht, bei denen er hätte denken müssen. Er hat seinen Geist nie angestrengt, weil er sich nie mit sich selbst... oder mit Tatsachen... oder der Zukunft auseinandersetzen mußte. Und ich bin der Meinung, daß die Demokratie nur funktionieren kann, wenn sie von Männern und Frauen vertreten wird, die wissen, was für eine Art Menschen sie sind. Wie soll eine Gleichung aufgehen, wenn die Unbekannte immer unbekannt bleibt?«
Als wir die Schnellstraße erreichten, die nach Greeley abzweigt, fuhr er mit hundertfünfzig Meilen Stundengeschwindigkeit. »Morgen werde ich sehr früh aufstehen«, sagte er, »und mir die Sache noch mal überlegen. Ich werde mir Bonnet satteln lassen und hinüberreiten, um mir die Herefords anzusehen.«
Am Dienstag, dem 6. November, ging Garrett erst spät zur Wahl, denn als er nach seinem langen Ritt ins Schloß zurückkehrte, war er bis ins Innerste aufgewühlt. Den Kopf in die Hände gestützt, saß er eine Weile allein und grübelte. Es war nicht die Frage, wem er seine Stimme geben sollte, die ihn beschäftigte - er war sich diesbezüglich schon ziemlich im klaren -, sondern die qualvolle Entscheidung in bezug auf seine geliebten Herefords, der er nun nicht länger ausweichen konnte. Als er die kräftigen Tiere auf ihren entfernten Weideplätzen besuchte und sie sich, die weißen Gesichter in leuchtendem Kontrast zu ihren roten Fellen, langsam auf ihn zu bewegten, empfand er einen bohrenden Schmerz, denn er entsann sich des wechselvollen Schicksals, dem er und seine Familie diese edle Rasse unterworfen hatten. Wo es um die Herefords ging, hatten die Garretts immer in gutem Glauben gehandelt. Urgroßvater Jim Lloyd hatte sie fast so innig wie seine eigene Tochter geliebt.
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