Colorado Saga
arbeiten. »Es war, als ob mir der Finger Gottes einen Pfad über die Berge gewiesen hätte«, hatte der Greis gesagt.
Am Ende des Tales bogen wir nach Westen ab und fuhren wenig später einen Fluß entlang, von dem viele nicht wissen, daß er in Colorado entspringt. Es war der Rio Grande, der Purzelbäume schlagend und Luftsprünge machend die Felsen herabstürzte. Vier bedeutende Flüsse haben ihr Quellgebiet im Hochland von Colorado - Platte, Arkansas, Rio Grande, Colorado -, und was immer da geschah, bestimmte die Lebensbedingungen in angrenzenden Staaten wie Nebraska, Kansas, Texas, New Mexico, Arkansas, Kalifornien, und sogar Mexiko. Fürwahr, Colorado war die Mutter der Flüsse.
Garrett schaltete seinen Kassettenrecorder ein.
An diesem Tag wieder, wie schon seit einiger Zeit, spielte Garrett nur mexikanische Lieder. Vor Jahren hatte er die Gewohnheit angenommen, wenn er sich in Centennial aufhielt, in Manolo Marquez' Restaurant »Flor de Mejico« zu Mittag zu essen, und dort hatte er Gefallen an der Volksmusik gefunden. Die Rübenarbeiter hatten sie nach Norden gebracht, und je mehr er davon hörte, desto mehr liebte er diese wilden, ausgelassenen Rhythmen.
In Pagosa Springs, am westlichen Ausgang des WolfCreek-Passes, nahmen wir ein verspätetes Mittagessen ein. Hier erwartete ihn die erste Delegation spanischsprechender Bürger. Er versicherte ihnen, daß es bei den kommenden Feiern einen ehrenvollen Platz für die Mexikaner geben würde. »Die Melodie kennen wir«, erwiderten sie mit einiger Bitterkeit.
Montezuma und Archuleta hatten vor kurzem eine nicht ganz ernst gemeinte separatistische Bewegung ins Leben gerufen, die für den Anschluß an New Mexico eintrat, »weil uns das ferne Denver ja doch immer die kalte Schulter zeigt.« Garrett versuchte sie zu besänftigen: »Das ist jetzt alles anders geworden. Der Gouverneur hat mich persönlich ersucht, zu euch zu kommen und euch von unseren Plänen zu unterrichten.«
»Schon möglich«, meinten die Mexikaner, »aber wie steht's mit seinem Nachfolger?«
»Wir im Vorland haben unsere Lektion gelernt.«
Er machte nicht viel Eindruck auf die mißtrauischen Bürger von Pagosa Springs. Am Spätnachmittag fuhren wir nach Durango weiter, wo wir uns kurz aufhielten, bevor wir die Fahrt nach unserem
Bestimmungsort Cortez fortsetzten. Dort nahmen wir ein spätes Abendessen mit den Führern der mexikanischen Minderheit ein und saßen noch bis spät in die Nacht zusammen.
Am 4. November, einem Sonntag, machten wir mehrere längere Ausflüge mit den in Cortez
ansässigen weißen Amerikanern, und am 5. November kehrten wir über die nördliche Route nach Centennial zurück. Auf der langen Fahrt von Grand Junctions nach Glenwood Springs sprach Garrett über das schwierige Problem, mit dem er sich am nächsten Tag würde auseinandersetzen müssen.
Es war Wahltag, und Colorado würde der erste
Bundesstaat sein, der den Blick bewußt in die Zukunft richtete, denn seine Bürger wählten einen Beamten neuen Zuschnitts. Er trug den klangvollen Titel eines Kommissärs für Bodenschätze und Prioritäten, und seine Aufgabe war es, die für seinen Staat richtigen industriellen und ökologischen Entscheidungen zu treffen. Es schien angebracht, daß Colorado der erste Staat sein sollte, der mit einem solchen Konzept
experimentierte, denn seine Bürger waren immer jedem vernünftigen Wechsel aufgeschlossene Pioniere gewesen. Colorado hatte der Nation als erster Staat den Weg zu Altersversicherung und Invalidenrenten, zu angemessenem Aufwand für das Erziehungswesen und zu liberalen gewerbepolizeilichen Gesetzen gewiesen.
Man brauchte sich nur die alten Siedler anzusehen, Leute wie den Lahmen Biber, Levi Zendt aus Pennsylvania, Potato Brumbauch aus Rußland oder Charlotte Buckland aus England, um zu begreifen, daß hier die Tradition des Individualismus verankert war Jetzt sollte der Staat der Nation den Weg zu einer vernünftigen Ausbeutung ihrer Bodenschätze weisen. Man hatte dem neuen Amtsträger bereits den Spitznamen »der Zar« verliehen, und morgen sollte zum ersten Mal ein Mann für diesen verantwortungsvollen Posten gewählt werden. Wie die meisten Bürger Colorados vertrat auch Garrett die Ansicht, daß die Republikanische Partei die altehrwürdigen Werte der amerikanischen Lebensform repräsentierte und man ihr vertrauen konnte, daß sie nur redliche, über jeden Verdacht erhabene Männer und Frauen in ein Amt
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