Colorado Saga
eine Deutsche und verließ die Wahlzelle, ohne für den Zaren gestimmt zu haben.
Am nächsten Morgen begann er seine Inspektionstouren, kurze Fahrten, die ihm dazu dienten, sich das Land anzuschauen, das er nun schützen sollte. Seine Exkursionen durch das Trockenbodenland im Osten trieben ihm zuweilen Tränen in die Augen, wenn er im Geist diese Chronik enttäuschter Hoffnungen durchblätterte, aber noch trauriger stimmte ihn, was er von Cheyenne oben im Norden bis hinunter zur Grenze von New Mexiko entlang der Gebirgskette sehen mußte.
Im Süden von Cheyenne beginnend, zog sich ein beständiger Dunstschleier quer über ganz Colorado. Er schien eine Tiefe von über zweihundert Meter zu haben und bestand aus Industrieabgasen. Woche um Woche hing er da, ohne seine Form zu verändern. Hätte er am Boden gehaftet, er würde die menschliche Atmung gefährdet haben und als die drohende Gefahr bekämpft worden sein, die er tatsächlich darstellte, doch da er hoch oben blieb, verdeckte er nur die Sonne und ließ gerade nur so viel Säure herab, daß den Menschen die Augen vierundzwanzig Stunden am Tag brannten.
Die Beaver Mountains waren von Centennial aus nicht mehr auszunehmen, und es vergingen ganze Tage, an welchen die Cowboys auf Venneford jene majestätische Bergkette nicht sehen konnten, die einst den westlichen Hintergrund dargestellt hatte. Die Leute, die früher gern an der Ecke Mountain und Prairie Road gestanden waren und auf die Rockies hinübergeblickt hatten, um sich über das Wetter zu informieren, erfuhren das Nötige jetzt aus dem Radio. Besonders bestürzt war Garrett über die Lage in Denver. Die Gipfel der Rockies hatten einst auf diese lebensvolle Stadt herabgeblickt, zu deren Wohlstand die Berge mit ihrer reichen Ausbeute an Gold und Silber erheblich beitrugen. Jetzt war sie eine von Smog überdeckte Falle mit einer der vergiftetsten Atmosphären im ganzen Land. Und von den Bergen war nichts mehr zu sehen.
Natürlich gab es Tage, wo die verschmutzte Luft von einem frischen Wind nach oben getragen wurde. Dann waren die Gipfel wieder für ein paar Stunden sichtbar, und die Menschen starrten mit schmerzlichem Lächeln auf die Bergriesen hinauf und sagten zu ihren Kindern: »So war es früher jeden Tag.«
In den vergangenen zehn Jahren war Paul Garrett oft von dem bedrückenden Gefühl gequält worden, daß die Bewohner Denvers dieser Situation völlig gleichgültig gegenüberstunden. Es herrschte die Ansicht vor, daß jeder vollblütige Amerikaner im Westen einen berechtigten Anspruch auf seinen Wagen und sein Gewehr besäße, und was er damit anfinge, ginge niemanden etwas an.
Der Westen hatte ebenso rückhaltlos vor dem Automobil kapituliert, wie er sich einst geweigert hatte, vor den Indianern zu kapitulieren. Das Auto tötete in einem Jahr mehr Siedler, als die Rothaut in der ganzen Geschichte des Territoriums zur Strecke gebracht hatte. Die Betonbänder fraßen die Landschaft auf und drangen bis in die verstecktesten Winkel vor. Und wenn ein Tal zufällig unberührt blieb, dann kamen die jaulenden, knatternden Motorschlitten und jagten die Elche, bis sie erschöpft zusammenbrachen. Kein Ort war ihnen heilig, kein Ort bewahrte seine Stille, und es gab kein Tal, wo man den Schnee ruhig liegengelassen hätte.
Als Paul Garrett diese Probleme in den ersten Novembertagen überdachte, gab er sich selbst einige Versprechen: »Als Stellvertretender Kommissär für Bodenschätze und Prioritäten werde ich meinen Wagen gegen einen kleineren tauschen. Ich werde langsamer fahren. Ich werde Tag und Nacht gegen den Smog in Denver zu Felde ziehen. Und ich werde die Motorschlitten in den Staatsforsten verbieten.« Dennoch fürchtete er, mit seinen Maßnahmen zu spät zu kommen. »Wenn das so weitergeht«, murmelte er zynisch vor sich hin, »wird man bald nach Wyoming fahren müssen, wenn man die unberührte Schönheit Colorados genießen will.«
Freitag, den 9. November, sah sich Paul Garrett genötigt, einer höchst unerfreulichen Pflicht nachzukommen. Er rasierte sich sorgfältig, legte einen konservativen Straßenanzug an und stutzte sich mit dem Rasiermesser die grauen Härchen an den Schläfen. Es würde dies sein erstes öffentliches Auftreten nach seiner Berufung in das neue Amt sein, und er wollte einen guten Eindruck machen.
Er fuhr nach Denver zum Bundesgerichtshof, wo gegen Floyd Calendar verhandelt werden sollte. Der Richter war ein für seinen Humor bekannter lebhafter kleiner Mann. Der
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