Colours of Love - Entblößt: Roman (German Edition)
der Earl ist noch mit Jonathan beschäftigt, sieht zu ihm hinüber. Seine Wut ist allerdings deutlich verraucht, er sieht jetzt wieder resigniert aus. Und tieftraurig.
»Deine Mutter und ich haben uns gestritten, das ist wahr«, sagt er und blickt dabei Sarah an, weil Jonathan ihm immer noch den Rücken zuwendet. »Sie war so temperamentvoll, so fordernd und so absolut entschlossen, alles durchzusetzen, was sie für richtig hielt. Ich war nicht immer ihrer Meinung, und wir sind viel zu oft aneinandergeraten, ja. Aber ich habe sie geliebt und sie mich. Das musst du mir glauben. Es vergeht nicht ein Tag, an dem ich mir nicht wünschen würde, sie wäre noch bei mir.«
Sarah streicht ihm mit dem Handrücken über die Wange und antwortet nicht, obwohl der Earl den Blick immer noch auf sie richtet – wahrscheinlich weil sie wie ich weiß, wem er das eigentlich sagt. Und Jonathan weiß das auch, denn er dreht sich wieder zu ihm um.
»Du hast in den Jahren nach ihrem Tod nie über sie gesprochen. Nicht ein einziges Mal«, sagt er, und seine blauen Augen funkeln immer noch zornig, aber nicht mehr so aggressiv. Eher anklagend. Verletzt. »Ich musste ins Internat, und Sarah hast du zu Tante Mary gegeben. Weil du froh warst, uns alle los zu sein. Und dann sollte ich dir glauben, als du irgendwann angefangen hast, den trauernden Witwer zu spielen?«
Der Earl ist schockiert über diese Vorwürfe, doch es steht jetzt auch ehrliche Reue in seinem Blick. »Ich habe nicht über deine Mutter gesprochen, weil ich es nicht konnte, Jonathan. Weil es mir zu wehgetan hat. Das ging erst viel später – aber immer, wenn ich es dann versucht habe, hast du jeden Versuch abgeblockt. Und ich habe dich wie geplant aufs Internat geschickt, obwohl ich kein gutes Gefühl dabei hatte, einfach weil ich keine andere Lösung wusste. Ich hatte den Halt verloren nach Orlas Tod, ich war zu nichts mehr in der Lage, habe alles schleifen lassen. Ich konnte mich nicht um dich kümmern und erst recht nicht um Sarah.« Er senkt den Kopf, offenbar sehr beschämt darüber, diese Schwäche eingestehen zu müssen. »Erst als die Stiftung, die deine Mutter ins Leben gerufen hat, kurz vor dem Aus stand, weil Gelder veruntreut worden waren, ohne dass ich es gemerkt hatte, bin ich aufgewacht. Deshalb habe ich den Schmuck damals verkauft – weil ich wusste, dass Orla gewollt hätte, dass ich die Stiftung in ihrem Sinne weiterführe. Das wäre ihr wichtiger gewesen als der Schmuck.« Er seufzt. »Ich habe nur den Verlobungsring behalten, den ich dir geschenkt habe, Sarah. Und das Saphirkollier, weil es ihr Lieblingsstück war.« Er hebt die Arme in einer hilflosen Geste. »Es tut mir leid«, wiederholt er noch mal, und es ist klar, dass er damit nicht nur den verkauften Schmuck meint.
Jonathan starrt seinen Vater an, und ich warte atemlos darauf, wie er jetzt reagiert.
Ich konnte nie glauben, dass der Earl der gefühllose Mann ist, als den Jonathan ihn geschildert hat, schon damals im Krankenhaus in London nicht, als ich ihm das erste Mal begegnet bin. Im Gegenteil, ich glaube, er ist ein Mensch, der sehr viel empfindet und dessen Gefühle tief gehen, sehr tief sogar. Doch er geht nicht offen mit ihnen um, er hat sie in sich eingeschlossen, und vielleicht ist das der Grund, warum Jonathan das auch tut – wenn sein Vater sein einziges Vorbild war, was den Umgang mit der Trauer um seine Mutter anging. Er hat es vom Earl so gelernt, deshalb haben die beiden nebeneinander existiert, jeder in seinem Leid gefangen, ohne in der Lage zu sein, sich gegenseitig zu helfen.
Aber jetzt ist es doch klar, denke ich. Jonathan hat sich geirrt. Seine Eltern haben sich geliebt, und alles, was er angenommen hat, war falsch. Das ändert wirklich alles. Ein Schritt, denke ich. Er braucht jetzt nur noch einen einzigen, winzigen Schritt auf seinen Vater zuzumachen, und dann können sie vielleicht endlich reden über das, was sie beide so belastet und was ihr Verhältnis jahrelang vergiftet hat. Es ist eine Chance – und dann hätte der Einbruch zumindest etwas Gutes bewirkt, so schrecklich seine Folgen gestern auch waren.
Aber ganz so einfach ist es offenbar nicht, denn Jonathans Miene ändert sich nicht, bleibt hart.
»Hast du das Kollier schätzen lassen? Weißt du, was es wert ist?«
Verständnislos sieht sein Vater ihn an, genau wie Sarah und ich. Das ist so ziemlich die letzte Frage, die wir alle von ihm erwartet hätten.
Jonathan macht eine unwillige Handbewegung, wartet
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