Colours of Love - Entblößt: Roman (German Edition)
schlimmer muss es dann für Jonathan gewesen sein, nach dem schrecklichen Unfalltod seiner Mutter alleingelassen in einem Internat zu sitzen, in dem ihn offenbar nicht alle freundlich empfangen haben. Kein Wunder, dass er Kinder für Monster hält. Wahrscheinlich haben die anderen Jungen instinktiv gespürt, wie verletzlich er war, und sich ihn gerade aus diesem Grund als Zielscheibe gesucht. Um da durchzukommen, musste er hart werden, er durfte keine Schwäche zeigen, und es ist vermutlich nur seiner Freundschaft mit Alexander zu verdanken, dass er das überhaupt überstanden hat. Deswegen sind die beiden auch so eng miteinander verbunden.
Doch der Preis war, dass er niemanden mehr an sein Innerstes heranlässt, weder seinen Freund, noch seine Schwester, noch mich. Und es ist mehr als die Furcht vor Verletzung und Enttäuschung, die ihn davon abhält, das zu ändern und sich wieder zu öffnen. Seine Angst geht tiefer, es ist, als würde er sich selbst nicht trauen, als wäre er das Problem und nicht ich. Der Grund dafür ist das Puzzleteil, das noch fehlt, und ich spüre, dass ich nicht weit davon entfernt bin, es zu finden.
Als ich im ersten Stock ankomme, schließt Jonathan gerade die Tür zu seinem Zimmer, den gepackten Koffer schon in der Hand.
»Ich warte unten«, sagt er, als er an mir vorbeigeht. »Wir fahren, sobald du fertig bist.« Damit eilt er an mir vorbei, und ich lasse ihn gehen, bleibe verwirrt, aber auch entschlossen zurück.
Er wird es mir nicht leicht machen, das weiß ich, und es kann immer noch sein, dass es mir nicht gelingt, zu ändern, was er so offensichtlich und aus welchem Grund auch immer nicht zu ändern bereit ist. Aber ich werde einen Teufel tun und mich von ihm verschrecken lassen, so wie alle anderen.
Mit neuem Elan gehe ich in mein Zimmer und packe meine Sachen, bereit für den nächsten Versuch.
21
»Du siehst schlecht aus«, sagt Annie und sieht mich besorgt an. »Das ist seine Schuld, oder?«
Sie streckt die Hand über den Küchentisch und legt sie auf meine, streicht tröstend darüber. Ihr Mitgefühl lässt Tränen in meine Augen steigen, die ich hastig wieder runterschlucke. Ich will nicht weinen, nicht einmal vor ihr, meiner besten Freundin hier in London. Eigentlich will ich ihr nicht mal gestehen, dass sie recht hat, schließlich war sie es, die mich schon von Anfang an vor Jonathan gewarnt hat.
Aber so zu tun, als wäre alles in Ordnung, hat vermutlich keinen Zweck, denn es ist ja nicht zu übersehen, dass es das nicht ist, wenn ich hier in der WG bin und nicht in Knightsbridge bei Jonathan.
»Es ist so schwierig im Moment«, sage ich und zucke hilflos mit den Schultern, stoße die Luft aus, weil meine Kehle schon wieder eng wird.
Schwierig ist gar kein Ausdruck. Seit wir aus Lockwood Manor zurück sind, verschließt Jonathan sich mir komplett, macht völlig dicht. Ich habe nicht mehr den Hauch einer Chance, an ihn heranzukommen, und das ist viel schwerer zu ertragen, als ich dachte.
In den ersten paar Tagen lief alles weiter wie vorher, zumindest äußerlich. Aber immer, wenn ich versucht habe, mit ihm über seinen Vater zu reden, hat er total abgeblockt, obwohl ich genau sehe, dass das, was auf Lockwood Manor passiert ist, in ihm arbeitet. Er zieht nur nicht die Konsequenzen daraus, die ich mir erhofft habe, denn wenn überhaupt, ist er noch schlechter auf den Earl zu sprechen als vorher. Und er wahrt seitdem eine innere Distanz zu mir, die mich fertig macht. Es ist, als wüsste er, dass ich beschlossen habe, nicht aufzugeben und um ihn zu kämpfen, und würde deshalb alles versuchen, um mich zu vergraulen. Als würde er darauf warten, dass ich beende, was er nicht beenden kann oder will, und langsam hat er mich soweit.
Unsere Beziehung hängt eigentlich nur noch an einem seidenen Faden – dem Sex. Denn das geht immer noch zwischen uns, und die Tatsache, dass Jonathan das genauso wenig aufgeben kann wie ich, hat mich bleiben lassen. Es ist wie eine Abhängigkeit, etwas, von dem wir beide nicht loskommen. Bis jetzt, denke ich, und spüre, wie mich wieder Verzweiflung überkommt. Denn in dieser Hinsicht bin ich inzwischen auch auf Entzug.
Heute ist nämlich schon die die dritte Nacht in Folge, die ich nicht mit ihm verbringe, weil er vorgestern nach Wien geflogen ist, zu einem Geschäftstermin, den er ganz kurzfristig anberaumt hat, nachdem wir uns – wieder mal – über seine Einstellung zu seinem Vater gestritten haben. Er hat mir nur lapidar mitgeteilt,
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