Colours of Love
Karrierechance. Und sie gibt ihn auf, weil …« Sie bricht ab.
»Weil was?«
»Weil sie diesen Kerl nicht kriegen kann. Weil er … ach, was weiß ich. Hör zu, sie hat niemanden gesagt, was da genau vorgefallen ist, aber eins weiß ich: es stimmt etwas nicht mit Jonathan Huntington. Also noch mal und ein für alle Mal: denk nicht mal dran!«
»Das tue ich doch gar nicht«, verteidige ich mich rasch.
»Und warum lässt du das Thema dann nicht endlich fallen?«
Sie hat recht. Aber es lässt mir einfach keine Ruhe.
»Denkst du, es hat was damit zu tun, dass er adelig ist?«
Jetzt muss Annie lachen. »Weil alle adligen Engländer ein bisschen überspannt sind? Grace, du hast zu viele Filme gesehen. Damit hat das nun wirklich nichts zu tun. Außerdem ist er noch gar nicht adelig. Er wird der nächste Earl of Lockwood, wenn sein Vater stirbt, der das im Moment noch ist und in all seiner Herrlichkeit auf Lockwood Manor residiert, einem Landsitz südlich von hier, an der Küste unten. Das erbt unser Boss dann alles, auch einen Sitz im House of Lords, aber er steigt erst wirklich in den Adel auf, wenn der alte Earl das Zeitliche segnet. Der Viscount ist nur ein Höflichkeitstitel für den ältesten Sohn, eigentlich ist Jonathan Huntington noch ein Bürgerlicher – und gehört wie du und ich zum gemeinen Volk. Vorläufig jedenfalls.«
»Das wusste ich nicht.« Entsetzt fällt mir das »Sir« wieder ein, mit dem ich ihn am Flughafen begrüßt habe. Mein Gott, habe ich mich lächerlich gemacht.
Annie grinst. »Das kannst du auch ruhig gleich wieder vergessen. Denn wenn du ihn mit Lord Huntington ansprichst – das könntest du, wenn du willst, korrekt wäre es – dann fängst du dir allerhöchstens einen bösen Blick ein. Er hat Anspruch darauf, so genannt zu werden, aber er legt keinen Wert darauf. Und jetzt will ich nicht mehr über Jonathan Huntington reden, okay? Unsere letzte Mitbewohnerin war schon fixiert auf ihn – fang du nicht auch noch an.« Sie stößt mich an und lächelt. »Genieß lieber Ians hervorragendes Essen. Er hat ein Tattoo-Studio ein Stück die Straße runter und so viel zu tun, dass er kaum zum Kochen kommt.«
Wir nehmen beide von Marcus ein Glas Wein entgegen, und als Ian kurz danach dampfende Teller mit herrlich duftendem Curry auf den Tisch stellt, schaffe ich es tatsächlich, den Mann, der mich heute so aus dem Gleichgewicht gebracht hat, für eine Weile aus meinen Gedanken zu verdrängen. Ich genieße die entspannte Atmosphäre in der Küche. Ian erzählt lustige Geschichten aus seinem Tattoo-Studio, und Marcus will natürlich genau wissen, wo ich herkomme. Ich finde es schön, nicht mehr ganz allein unter Engländern zu sein, und genieße seinen vertrauten Akzent. Und je öfter ich die Geschichte von meinem Vermieter erzählen muss – die anderen können sie gar nicht oft genug hören und amüsieren sich immer wieder darüber –, desto mehr kann ich selbst darüber lachen.
Irgendwann bin ich satt, ein bisschen angetrunken und so müde, dass ich kaum noch die Augen aufhalten kann. Ich rufe schnell Hope noch einmal an, der ich das ja versprochen hatte, und berichte ihr von meinem Missgeschick und dem glücklichen Ausgang, den es genommen hat. Dann verabschiede ich mich von den anderen, die noch in der Küche sitzen, und gehe schlafen. Als ich aus dem Bad komme, stelle ich fest, dass Annie mein Bett schon bezogen hat, und ich bin ihr so dankbar, dass ich sie noch viel lieber habe als sowieso schon. Ich habe nur noch die Kraft, mein Nachthemd aus dem Koffer zu ziehen, es überzustreifen und unter die Decke zu schlüpfen.
Eigentlich dachte ich, dass ich sofort einschlafen würde, aber obwohl mein Körper total erschöpft ist, arbeitet mein Kopf weiter, zeigt mir noch einmal die Bilder dieses aufregenden Tages. Und bleibt bei einem Bild immer wieder hängen. Verdammt! Annie hat recht, ich muss endlich aufhören, ständig an Jonathan Huntington zu denken. Ich werde ihn höchstens noch ein paar Mal von Weitem sehen. Er hat mit meinem Leben nichts zu tun. Also, vergiss ihn, Grace!
Er ist ein zukünftiger Earl, mit Sitz im House of Lords. Und auf einem Herrensitz aufgewachsen. Als wären der Reichtum und die Firma und all das noch nicht genug. Uns trennen Welten. Deshalb werde ich morgen endlich anfangen, vernünftig zu sein, nicht mehr an ihn denken und mich auf die Arbeit konzentrieren. Es ist mein letzter Gedanke, bevor der Schlaf mich übermannt.
6
»Ist das wirklich euer Ernst?«
Weitere Kostenlose Bücher