Colours of Love
aber sie hat was Neues gefunden. Kam ziemlich plötzlich. Die Miete für den Monat hat sie noch bezahlt, und wir sind einfach noch nicht dazu gekommen, uns um einen neuen Mitbewohner zu kümmern.«
Ich erschrecke bei der Neuigkeit. Dann war die Frau aus der Presseabteilung, von der Annie vorhin geredet hat, nicht nur eine Kollegin, sondern auch eine Freundin? Hat sie mich deshalb so eindringlich vor Jonathan Huntington gewarnt? Was weiß sie über ihn, was sie mir nicht sagt?
»Ist was?«, fragt Marcus. Er sieht besorgt aus, und ich lächle hastig, um mir nichts anmerken zu lassen.
»Nein, nein«, versichere ich ihm und gehe wieder zurück in den Flur.
Marcus deutet auf drei weitere Türen, ohne sie zu öffnen und mir die Zimmer dahinter zu zeigen. »Das da ist mein Reich, da vorne wohnt Ian, und da residiert unsere Chefin.« Er sagt es liebevoll, und man merkt, dass die beiden sich gut verstehen. »Und hier«, er öffnet die Tür neben meinem Zimmer, »ist das Bad.«
Es ist nicht besonders groß und müsste dringend mal renoviert werden, aber es gibt alles, was nötig ist und es ist sauber – eine Badewanne mit Hähnen zum Drehen, die sehr antiquiert aussehen, einem ziemlich verschlissenen Duschvorhang, ein Klo und diverse Schränke. Ein Teil davon ist offen und enthält ein ansehnliches Sammelsurium an Toilettenartikeln für Damen und Herren sowie mehrere Stapel mit Handtüchern in allen Farben, die offensichtlich aus dem Besitz verschiedener Leute zusammengewürfelt sind. Ein buntes Strandtuch, das noch nass ist, hängt über dem Wannenrand zum Trocknen. An der Wand gegenüber der Wanne hängt ein großes Bild, das einen Strand und das Meer im Sonnenuntergang zeigt.
»Und hier kommen wir in das Herzstück unseres Reiches, die Küche«, fährt Marcus fort und geht weiter bis zum Ende des Flures, der in einen großen hellen Raum mit einer Kochzeile führt. Es ist keine Designerküche, sie hat nicht mal eine richtige Arbeitsplatte, sondern besteht aus ein paar alten Schränken, einem auch definitiv schon älteren Herd, einem großen silbernen Kühlschrank, der sehr modern aussieht und zum Rest nicht recht passt, und einem Holztisch mit Stühlen und einer Bank vor dem Fenster.
Vor dem Herd steht Annie mit einem weiteren jungen Mann. Die beiden umarmen sich, und er flüstert ihr gerade etwas ins Ohr, was sie lachen lässt. Der Anblick verblüfft mich. Dass sie mit einem der »Jungs« aus der WG zusammen ist, hat Annie gar nicht erwähnt, aber man sieht ihren verliebten Blicken an, dass es so sein muss.
Als sie uns kommen sehen, trennen sich die beiden, und der junge Mann wendet sich mir lächelnd zu. Neugierig betrachte ich ihn genauer. Er ist kleiner als Marcus, aber er wirkt drahtig. Seine blonden Haare sind lang und hinter dem Kopf zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst. Über sein linkes Ohr ziehen sich diverse Piercings, und seine Arme sind da, wo das T-Shirt die Haut nicht verdeckt, tätowiert, genau wie ein Teil seines Halses.
»Hallo, ich bin Ian«, begrüßt er mich und wischt sich die Hand an einem Küchentuch ab, um sie mir danach entgegenzustrecken. Sein Händedruck ist fest. »Annie hat mir schon erzählt, dass du heute Nacht bei uns unterschlüpfst.« Er hat einen schottischen Akzent, den ich lustig finde. Er ist überhaupt ein echter Typ, unverwechselbar.
»Das riecht lecker«, sage ich und deute auf die Töpfe, in denen er rührt.
»Meine Spezialität: Curry à la Ian. Setz dich schon mal, es ist gleich fertig. Marcus, machst du den Wein auf? Die Flasche steht da drüben.«
Marcus beschäftigt sich mit seinem Auftrag und macht sich an der Rotweinflasche zu schaffen, die auf der Anrichte steht, und ich setze mich zu Annie, die auf der Bank am Küchentisch sitzt und in einer Zeitschrift blättert.
»Na, gefällt dir das Zimmer?«, erkundigt sie sich.
Ich nicke, bin jedoch schon wieder mit der Frage beschäftigt, die mich nicht loslässt. »Annie, warum hast du mir nicht gesagt, dass die Frau aus der Presseabteilung, von der du mir heute Morgen erzählt hast, deine Freundin war?«
Annie legt die Zeitung weg. »Weil sie das nicht war, deshalb. Wir haben hier zusammen gewohnt, und sie war nett, aber so richtig verstanden habe ich sie nie.«
»Weil sie sich in Jonathan Huntington verliebt hat?«
»Ja, auch.«
»Wie alt war sie?«
»Siebenundzwanzig. Eine Bekannte von Ian. Kam aus Edinburgh, wo sie jetzt wieder hin ist. Es war so ein toller Job, den sie hier hatte, eine echte
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