Colours of Love
traue. Als ich den Besuchersessel erreiche, klammere ich mich an die Lehne.
»Jonathan?«
Er dreht sich zu mir um. Sein Gesicht wirkt jetzt wieder gefasst. Der Zorn und die Leidenschaft, die vorhin noch darin gestanden haben, sind verschwunden, er ist wieder der kühle, selbstsichere Geschäftsmann.
»Vergiss, was da gerade passiert ist.« Seine Stimme klingt beherrscht, fast gleichgültig.
Überrascht blicke ich ihn an. Ich soll das vergessen?
»Das kann ich nicht.«
»Dann muss ich unsere Zusammenarbeit beenden.«
»Aber … warum?« Er kann mich doch nicht erst so küssen und dann wegschicken! Macht er das mit allen Frauen so? Dann kann ich verstehen, dass sie reihenweise fliehen. Denn irgendwie schafft er es, dass ich mich schuldig fühle. Dabei wollte er es ebenso. Er wollte sogar vermutlich sehr viel mehr als ich, weil er im Gegensatz zu mir weiß, was er tut – und will. »Warum hast du mich geküsst?«
Er kommt um den Schreibtisch herum, und ich wende mich ihm zu, mit nur noch einer Hand an der Sessellehne. Dicht vor mir bleibt er stehen. Auf seinem Gesicht liegt kein Lächeln, aber auch nicht mehr dieser unnahbare Ausdruck. Ich kann sehen, dass er genauso aufgewühlt ist wie ich.
»Es kommt nicht mehr vor.« Er sagt das ernst und ein bisschen so, als müsste er sich das auch selbst noch mal versichern. Kalte Enttäuschung macht sich in mir breit. Denn ich will, dass es wieder vorkommt. Er soll mich noch mal küssen. Wenn das ein Kuss war. Es kam mir eher wie ein Erdbeben vor.
Ein Schauer erfasst mich, als mir klar wird, dass er nur die Hand auszustrecken braucht, um mich an sich zu ziehen. Was er jedoch nicht tut.
»Also vergessen wir das«, erklärt er noch einmal, und es ist nicht als Frage formuliert. Es ist eine Anweisung, an die ich mich zu halten habe.
Es kränkt mich, dass er das, was für mich welterschütternd war, so abtut, als wäre es ihm unangenehm, lästig fast. Wie stellt er sich das vor? Ich kann das nicht vergessen. Auf keinen Fall. Aber ich will auch nicht, dass er mein Praktikum hier bei ihm beendet, deshalb zucke ich mit den Schultern.
»Die Leute tun doch sowieso immer, was du sagst«, sage ich, und es klingt schnippisch, weil ich meine Wut nicht verbergen kann.
»Nur du nicht«, erwidert er ruhig, und unsere Blicke treffen sich erneut, verhaken sich ineinander. Diesmal klingt es nicht wie ein Vorwurf. Ich glaube, es ist tatsächlich ein Kompliment. Und das macht mich mutig.
»Ich tue, was du willst.« Probier es aus, denke ich, und halte mit klopfendem Herzen seinem Blick stand. Ich kann sehen, dass er genau weiß, was ich ihm damit sagen will. Aber er meint es offenbar wirklich ernst mit dem Vergessen, denn er streicht sich nur das Haar aus der Stirn und kehrt an seinen Schreibtisch zurück, verschanzt sich dahinter. So jedenfalls kommt es mir vor.
»Es wird nicht wieder vorkommen, Grace«, wiederholt er noch einmal in diesem Tonfall, der keinen Widerspruch duldet, und deutet auf den Besuchersessel. »Können wir jetzt weitermachen?«
Unglücklich nicke ich und kehre, nachdem er mir noch einmal erläutert hat, was als Nächstes ansteht, in mein Büro nebenan zurück. Das ist so arrogant von ihm, dass er einfach zur Tagesordnung übergeht, denke ich. Als gäbe es nichts, worüber wir reden müssen. Als wäre nichts passiert.
Aber es ist etwas passiert zwischen ihm und mir. Daran gibt es keinen Zweifel. Und während ich die Unterlagen für den nächsten Termin noch einmal überfliege, auf die ich mich einfach nicht konzentrieren kann, egal, wie sehr ich mich bemühe, wird mir immer klarer, dass ich das definitiv nicht einfach ignorieren kann. Ich muss die ganze Zeit daran denken, wie es sich angefühlt hat, an ihn gepresst zu sein, daran, wie seine Hand zwischen meinen Beinen gelegen hat. Mein Traum fällt mir wieder ein. Das war gar nichts gegen das gerade im Fahrstuhl. Sein Kuss hatte nichts Zärtliches, sondern etwas Dunkles, Lockendes, das mich nicht mehr loslässt. Und plötzlich kann ich nicht mehr anders, als doch etwas hineinzuinterpretieren.
Vielleicht, sagt eine kleine Stimme in mir, bist du doch nicht nur irgendeine kleine, unwichtige Praktikantin. Jonathan muss sich zu mir hingezogen fühlen, wenn er mich küsst, auch wenn er das jetzt leugnet. Und falls das so ist, besteht die Möglichkeit, dass er es wieder tut. Vielleicht sogar mehr.
Der Gedanke ist aufregend und begleitet mich durch den Rest des Tages. Ich ertappe mich dabei, dass ich jede Regung von
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