Coltan
in dem ich Lily wieder traf.
Ich setzte mich in den Wagen und zündete eine
Zigarette an. Wäre Josh noch da, hätten wir in aller Ruhe die Lage analysiert. In
Ruhe, weil Panik auch nichts ändert.
Lily hatte wohl mehr als nur einen Grund, die
CDs zu verstecken. Das zu erkennen war alles andere als eine intellektuelle
Höchstleistung. Die Konsequenzen daraus waren ebenso einfach: Wenn – dann! Ich
hatte etwas, vom dem die bislang nichts wussten. Dann also, dann war von
nun an ich ihr Ziel. Und Mader? Was war ich doch für ein Idiot? Schlagartig
fingen meine Hände an zu zittern und kalte Schweißperlen standen mir auf der
Stirn.
Perspektivwechsel: Versuch Dir vorzustellen,
was Du an ihrer Stelle …? Es ging einzig um die kleinen silbernen
Scheiben. Wir wären nur ein bedauerlicher Kollateralschaden. Ein durchaus
ernstzunehmendes und keineswegs anspruchsvolles Szenario, auf das wir leider
nicht vorbereitet waren.
Ich startete den Wagen und fuhr zur nächsten
Telefonzelle. Die Auskunft brauchte nur einige Sekunden. Ich schrieb die
Adresse auf und schickte Mader eine SMS: ABBRUCH. Dann ein Gespräch mit Hanschke,
der mir Glück wünschte.
60
Reutter und van Broiken starrten ungläubig auf
den Monitor.
Der zweite Punkt, Mader, war unterwegs gen
Süden. Vor zwanzig Minuten hatte sie sich auf den Weg gemacht. Kein Zweifel,
sie fuhr plötzlich Richtung München.
Auch Gallert hatte Schneeberg verlassen,
allerdings irritierte sie die Richtung. Warum fuhr er nicht direkt zur Autobahn?
Sie schwiegen und warteten auf Ahrendts Anruf.
Er sah, was sie sahen. Sechs Augen folgten Gallert.
Tarnowski streifte ziellos durch seine wohltemperierte
Suite mit Blick auf den Potsdamer Platz. Der Flug ging erst abends, via Paris. „You
have mail“, tönte es aus dem Laptop. Er wusste, die Welt drohte ein sehr kleiner
Ort zu werden, wenn diesem Spuk nicht bald ein Ende gemacht wurde. Er war
Verpflichtungen eingegangen, hatte Verträge geschlossen, wie es unter Männern
üblich war, per Handschlag und unauflösbar.
Der Inhalt der E-Mail war überschaubar: „NO“. Knapper
ging es nicht. Die Gründe waren ihm egal, er war kein Freund überflüssiger
Details.
Das Telefon klingelte. Tarnowski ließ es
läuten, zweimal, dreimal, viermal – dann hob er ab, seine Hand war feucht.
„Da.“
„Sprechen Sie deutsch Mann.“
„Nichts zu machen.“, seine Stimme zitterte.
Schleppend kamen ihm die Worte aus dem Mund. Der Akzent war so deutlich wie
selten, er wollte heim.
„Ja.“, kurz und trocken. „Verschwinden sie, und
zwar schnell.“
Hanschke nahm die Kopfhörer ab, er hatte genug
gehört. Er lehnte sich zurück, sah auf die Rücken der zwei Männer, die vor den
Monitoren saßen und sich dann und wann ein paar Notizen machten. Nur das Summen
der Festplatten störte die Stille. Hätte er Gallert einweihen sollen?
Der Staatsanwalt stand auf und begann durch den
Raum zu schreiten. Hin und her, von einer grauen Wand zur andern. Viel hatten
sie bislang nicht. Er hatte Gallert als Lockvogel benutzt. Tarnowskis Entourage
reagierte, gab die übliche Zurückhaltung auf. Einer nach dem andern verließ die
Deckung. Aber nichts geschah! Aber, was hatte er erwartet, was hätten sie tun sollen? Und wer hätte dafür bezahlt? Gallert, Mader?
Noch hatte er nur lose Fäden und keine Antwort
auf das Warum ? Und welche Rolle hatten die toten Frauen? Kuriere? Er
schüttelte den Kopf, nicht die Berthold, die ließ Tarnowski zwar an seinen …,
aber mehr auch nicht.
61
„Das, nein, ich glaub das nicht ...“ Van Broiken
brach mitten im Satz ab und blickte fasziniert auf den Monitor. Reutter schwieg
und ließ sein Handy von einer Hand in die andere wandern.
„Eine Bundeswehrkaserne! Mister Gallert auf der
Flucht. Was sind wir doch Respekt einflößend!“
Doch Reutter war nicht nach Witzeleien zumute. Was
glaubte dieser Bulle, wer hinter ihm her sei? Ein arabisches Killerkommando?
Reutter versuchte, sich in den Mann, der ganz
offensichtlich Angst hatte, hineinzudenken. Zwei tote Frauen, unbekannte
Verfolger. Auch wenn sie nichts mit den Morden zu tun hatten, für Gallert musste
sich die Sache anders darstellen. Und je länger Reutter darüber nachdachte,
umso fragwürdiger empfand er die Operation. Warum bestand Ahrendt auf der
Observation? Sie hätten auch abwarten können, bis er wieder in der Stadt ist?
Sein Puls beschleunigte sich und er bekam leichte Magenkrämpfe. Van Broiken hingegen
führte sich auf, als wäre sie nur ein
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