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Coltan

Coltan

Titel: Coltan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Andress
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Anruf endlich kam, fasste
er sich kurz. Es brauchte keine überflüssigen Worte.
    Er wollte keine Details wissen. Nie.
    Ein präzises, militärisch kurzes Gespräch.
    „Stecken Sie da mit drin?“
    „Ja.“
    „Und jetzt?“
    „Müssen wir wohl weitermachen.“
    Abwartendes Schweigen: „Könnte Aufsehen
erregen.“
    „Lassen Sie sich was einfallen.“
    „Zeit?“
    „Kaum …“, Ahrendt hörte ihn atmen: „Eine Frage
noch: Prag?“
    „Schlimmer.“
    „Scheiße.“
    Ahrendt drückte auf die Enter-Taste und
übermittelte die notwendigen Daten: aktuelle Position, Kennzeichen,
GPS-Logdaten.
    Hast Du es eilig, mach einen Umweg . Das war
jahrelang sein Motto und er war gut damit gefahren. Doch diesmal hatte sein
Instinkt versagt. Tarnowski stand auf und trat ans Fenster. Der Platz lag im
Sonnenlicht, Tausende Menschen zwischen bunten Sonnenschirmen, ameisengleich
irrten sie scheinbar planlos über den Platz. Dabei hatte jeder sein Ziel, doch
dem Beobachter blieb es verborgen. Sich nicht täuschen lassen vom ersten
Eindruck, nie dem Gefühl nachgeben.
    Nie hat er sich drängen lassen, damals nicht
und heute noch weniger. Immer auf die einzige universale Sprache vertraut: Geld.
Was war in ihn gefahren? Hätte, würde, könnte. Er war gewarnt, ja, und hatte es
trotzdem geschehen lassen.
    Jahrelange Arbeit, Bakschisch, Bakschisch und
noch mal Bakschisch auf der einen Seite, kleine und große Aufmerksamkeiten auf
der anderen. Scheck um Scheck hatte er ausgestellt. Jetzt drohte ihm alles wie
Sand durch die Finger zu rinnen.
    Was er brauchte, war kein filigran planender
Operateur, sondern ein Kämpfer. Und dann? Empörung, Aufregung, Rufe nach
schärferen Gesetzen und nach ein, zwei Wochen wieder Business-as-usual. Hoffentlich.
    Tarnowski öffnete den Laptop, griff nach dem Head-set
und wählte die zwölfstellige Nummer. Eine quäkende Stimme bat in schlechtem
Englisch um einen Moment Geduld, es rauschte und schließlich ertönte ein
trockenes „Ja.“
    Fünf Minuten später war alles geklärt. Sein
Gesprächspartner war wahrscheinlich nur 1000 Meter entfernt. Trotzdem, ein sehr
teures Gespräch.
    25.000 sofort und ohne jede Garantie. Im
Erfolgsfall waren weitere 250.000 Euro fällig. Trotz der schlechten Verbindung
nahm Tarnowski einen mehr als skeptischen Unterton wahr. Egal. Drei Mouse
Klicks und in wenigen Minuten würde sich die erste Rate von Genf aus auf den
Weg um die Welt machen, um schließlich über irgendeine Karibikinsel in Moskau
oder Zürich zu landen. Die Spur des Geldes verlor sich innerhalb kurzer Zeit in
den Netzwerken der Finanzwelt.

59
    Ich stand auf dem Parkplatz, sah ein letztes Mal
zu ihrer Wohnung hinauf. Der Omega war verschwunden. Aber was hieß das schon. Wir
leben im 21. Jahrhundert. Was vor wenigen Jahrzehnten düstere Warnung
paranoider Science-Fiction-Autoren galt, war längst Wirklichkeit geworden. Jonathan
Gallert ist nicht mehr als eine nahezu lückenlos überwachbare Zahlenkombination
in der Hand weniger Auserwählter. Was früher nur möglich schien, dem kann man
nicht heute unmöglich entziehen. Nur zwei Jahrzehnte hatte der
technik-versessene Mensch gebraucht, um sich der Welt der Bits und Bytes auszuliefern
und was er einst für Freiheit hielt aufzugeben. Nur Ignoranten glaubten noch, Unschuld
biete auch Schutz. Was blieb war die Sehnsucht nach Geborgenheit, die eine
Renaissance der Potentaten auslöste. Macht war nicht länger der Wettkampf um
Ideen, sondern wieder die Herrschaft über die Mittel.
    Warum hatte Lily die CDs versteckt? Saß ich womöglich
auf einer Zeitbombe oder war ich endlich im Besitz aller Antworten und am Ende
der Ermittlungen?
    Und: Was hatten sie jetzt vor? Zu meinem
Erstaunen hatten wir darüber nicht nachgedacht, Plan B existierte nicht. Früher
hätte ich Josh angerufen. Josh, mein einziger wirklicher Freund, der am Leben
hing wie ein Süchtiger an der Nadel, der Ruhe hasste, weil sie ihn an die
Unendlichkeit des Todes erinnerte, den kein Schicksalsschlag wirklich treffen
konnte, weil er ihn einzig als das nahm, was er war: ein Menetekel, das ihm
bedeutete, nicht zu verharren. Zuerst waren es nur die wiederkehrenden
Kopfschmerzen, da half ihm noch ein Aspirin. Dann wurden die Schmerzmittel
immer stärker, bis er sich endlich, nach monatelangem Drängen, untersuchen ließ.
Da war der Tumor schon groß wie ein Taubenei. Josh verkaufte alles, setzte sich
in den alten Bulli und schickte mir zwei Monate später eine Ansichtskarte aus
Nepal. Es war das Jahr,

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