Coltan

zufälliger Gast. Sie amüsierte sich, als
hätte das alles nichts mit ihr zu tun. Gespannt verfolgte sie die Züge des
Gegners, schien Gallerts Taktik gar zu bewundern. Natürlich, ihr konnte vieles
egal sein.
    Van Broiken nahm Reutter das Telefon aus der
Hand und drückte die Wahlwiederholung und stieß ein kurzes trockenes „Na dann“
hervor, bevor sie ihm den Apparat zurückgab.
    „Er will ein Gespräch unter – Männern!“, die
Ironie war unüberhörbar.
    „Ja … Das glaube ich auch … Gut.“ Er legte auf.
    „Rückzug, alles abgeblasen. Du und ich, wir
sind jetzt die Idioten!“, entfuhr es ihm.
    Doch van Broiken hatte nur ein müdes Lächeln
für ihn übrig. Dann beugte sie sich zu ihm, zog die linke Augenbraue hoch und
flüsterte: „Da wär ich mir nicht so sicher, mit dem wir. “
    „Soll heißen?“
    „Na was schon? Ahrendt ist zu lange dabei, um
nicht auf Notfälle vorbereitet zu sein. Was mit Dir ist, weiß ich nicht. Kann
nur hoffen, Du hast nicht geglaubt, dass Dich das deutsche Beamtenrecht auch
vor Erdbeben schützt.“
    Reutter wurde blass: „Was soll das? Du hängst
doch genauso mit drin?“
    Van Broikens Blick folgte einem älteren
Ehepaar, das ihnen mit Rucksack und Spazierstöcken bewaffnet auf dem Bürgersteig
entgegenkam.
    „Ich?“, damit war alles gesagt. Letztlich war er
der stellvertretende Operationsleiter mit Sondervollmacht. Immer gut, für
schnelle, unorthodoxe Maßnahmen. Reutter hatte die „Operation Penthouse“ geleitet.
Natürlich in Abstimmung mit Ahrendt. Reutter wischte sich seine feuchten Hände
an der Hose ab. Van Broiken beobachtete noch immer die Spaziergänger.
    „Ich, ich verstehe nicht, was Du meinst?“
    Sie verschränkte die Arme hinter der Kopfstütze
und sprach Richtung Frontscheibe: „Ich weiß nicht, was Du weißt. Aber Gallert
ist doch sicher nicht nur wegen uns hinterm Stacheldrahtzaun in Deckung gegangen.
Und Ahrendt, der trifft wahrscheinlich gerade die Vorbereitungen für seinen
Rückzug. Hier ein paar Dateien löschen, da ein paar Dokumente schreddern, schon
ist er fein raus. Aber, wer hat das Penthouse überwacht und das eine oder
andere Telefon angezapft? Und vor allem, warum?“
    Reutter hörte ihr schweigend zu.
    „Das waren doch keine Routinejobs. Starnhagen, Tarnowski.
Proliferationsrelevante Aktivitäten osteuropäischer Unternehmer“, sie betonte
jedes Wort, „ist doch lächerlich!“
    Reutter schoss das Blut ins Gesicht. Er spürte
den Puls seiner Halsschlagader.
    „Starnhagen, hast Du je einen richterlichen
Beschluss in der Hand gehabt?“
    Er starrte aus dem Seitenfenster.
    „Aufsteigende Hitze oder was?“
    Van Broiken drückte auf den Fensteröffner, doch
es schoss nur ein staubiger Schwall lauwarmer Luft ins Wageninnere. Sie sollte
aufhören, sofort! Reutter atmete schwer, doch van Broiken wusste, für Mitleid
war es längst zu spät und nach einer verlogenen Geste stand ihr nicht der Sinn.
    „Na, wer trägt die Verantwortung? Wessen Name
steht unter den Berichten?“
    Reutter wollte nur noch zurück nach Berlin. Er startete
und trat das Gaspedal durch, der Motor heulte auf und der Wagen jagte durch den
Wald Richtung Autobahn.

62
    Die mobile Klimaanlage in Martens Büro kapitulierte
mit einem letzten Stoßseufzer vor der Hitzewelle, die jeden Tropfen Flüssigkeit
aus der Stadt sog. Jetzt saß er mit offenem Hemd hinterm Schreibtisch, spürte,
wie der Stoff am teuren Echtlederbezug klebte.
    Hanschke dozierte. Martens rutschte unruhig auf
seinem Stuhl hin und her.
    „Einen Sicherheitstransporter? Heute noch? Es
ist Freitag! Dienstschluss!“
    Hanschke nickte.
    „Aus dem Erzgebirge nach Berlin?“
    Wieder dieses Nicken, Martens hasste es.
    „Erfahre ich vielleicht mal, was hier gespielt
wird?“
    Jetzt lehnte Hanschke sich vor und Martens sah
ihm erwartungsvoll in die Augen. Doch der Staatsanwalt hatte nur sein Gewicht
verlagert, um aufzustehen. Martens Gesichtsfarbe wechselte von rosa zu dunkelrot,
Schweißperlen tropften von seinem Kinn.
    „Und?“, zischte er.
    Doch Hanschke hatte schon nach seiner Tasche
gegriffen. Auf der Türschwelle hielt er kurz inne, warf Martens über die
Schulter einen kurzen Blick zu, um „Später, später, aber dann ganz bestimmt!“ nuschelnd
aus dem Zimmer zu huschen.
    Martens stand auf und lief zwischen Tür und
Fenster hin und her, sechs Schritte hin, exakte Wendung, sechs Schritte zurück.
Hände auf dem Rücken, das Kinn auf der nassen Hemdbrust.
    Nach einer erneuten