Coltan
informiere die …“
Es half nichts. Ich änderte die Taktik und
brüllte ihn an: „Sie tun nur eins: Hanschke anrufen. Sofort!“
Schweigen.
Ich schob noch ein leises „Bitte“ hinterher und
unterbrach die Verbindung. Noch gehörte der Fall mir. Natürlich waren mein Name
und meine Telefonnummer in Lilys Handy gespeichert. Alles nur eine Frage der
Zeit. Der ermittelnde Beamte in zwei Mordfällen steht in einer persönlichen
Beziehung zu einem der Opfer! Mehr kann ein Reporter sich nicht wünschen, wenn
er davon erfährt. Ob Martens in seiner Wut daran gedacht hatte? Sicher nicht.
Vielleicht verschaffte mir ein diskreter Hinweis etwas Luft.
Das Handy summte erneut, „Martens“ erschien im
Display. Ich zog den Akku ab.
Lilys Duft hing im Flur und ich sog auf, was
ihren Tod überdauert hatte. Ich spürte ihre warmen, schmalen Hände auf meiner Schulter,
bis eine Wolke sauren Achselschweißes mich wieder in die Gegenwart katapultierte.
„Versiecheln?“ scholl es breit sächselnd aus
dem Treppenhaus. Ich drehte mich auf dem Absatz um und nickte stumm.
Kurz darauf verabschiedeten wir uns.
Ich griff nach meinen Zigaretten und wollte ein
letztes Mal sehen, was sie gesehen hatte, wenn sie sich wieder auf den Weg in
ihr anderes Leben machte.
Im Erdgeschoß lehnte ein kahlköpfiger Mann im
Fenster, den Oberkörper auf ein Kissen gebettet.
„Weiter Weg aus Berlin.“
„Kann man so sagen. Warum haben Sie vorhin
nicht aufgemacht, als ich bei Ihnen geklingelt habe?“
„Mittagszeit, ich koch nich selber. Sie waren
bei der Gormann. Was isn los mit ihr.“
„Haben Sie ´n Kaffee.“
„Komm rein.“
Am Klingelschild stand Schmidt. Er löste den Sicherheitsriegel
und öffnete. Schmidt hielt sich ein Taschentuch vor den Mund und hustete. Das
Taschentuch war voller Blutflecken.
„Soll ich einen Arzt holen?“
Er wischte sich den Mund ab, sah ins Tuch und
griff nach meinem Ausweis.
„Der kennt mich und wartet schon seit Monaten,
wann er mich endlich aus der Kartei streichen kann. Einmal Wismut, immer
Wismut.“
Er drehte sich um und verschwand im Flur. Ich wusste,
er würde gleich abbiegen, in die Küche, wo der Wasserkocher schon brodelte.
„Hier gibt´s aber nur türkisch?“
„Hauptsache Milch und Zucker.“
„Geht klar.“
Die Küche war akkurat, kein Nippes, alles hatte
seinen Platz. Es war die Küche eines einsamen alten Mannes, der darauf wartete,
seiner Frau zu folgen. Ihr Bild hing überall. Eine grauhaarige, mild lächelnde
Dame, die sich über jede Aufnahme zu freuen schien. Sie vor dem Petersdom, vor
steilen Klippen, irgendwo in einem blauen Meer.
„Ist vor zwei Jahren gestorben, meine Gisela.
Krebs. War schneller als ich, hat keiner mit gerechnet. Normal sind die Männer
zuerst weg. Aber jetzt dauert ´s nich mehr lang.“
Er goss kochendes Wasser über das grobe
Kaffeepulver, gab mir einen der Pötte und bedeutete mir mit einem Kopfnicken,
ihm zu folgen.
Das Wohnzimmer lag auf der Straßenseite, mit
Blick auf die gegenüberliegenden Blocks. Bei Lily war es umgekehrt. Sie hatte
den unverbauten Blick in die sanfte Landschaft gewählt.
„Haben Sie Frau Gormann gekannt?“
„Was los mit ihr?“
Er verschluckte immer wieder einzelne Silben
und Worte. Ich sah auf den Boden. Schmidt verstand: „Schade, schöne Frau
gewesen.“
„Und?“
Er schüttelte den Kopf.
„Kaum. Hab ihre Post rausgeholt, wenn sie
länger weg war. Dann und wann mal ´n Wort, nich mehr.“
„Die Post?“
„Da.“
Er zeigte auf ein Bord.
Ich griff mir den Stapel, große und kleine
Briefumschläge.
Werbung und Rechnungen.
„Noch was?“
Schmidt schüttelte den Kopf.
„War immer nett, aber irgendwie …“, er hielt
inne, „ passte nich her. Wenn se kam, lief nächtelang Musik. Ist dann immer rum
gelaufen, bis die Sonne aufging. Nachteule, dacht ich. Gesprochen hat se wenig.
Hat mir aber immer was mitgebracht. Whisky. Und keinen billigen. Dann hat se
sich noch bedankt und is ab in die Wohnung.“
Langsam rollte ein Omega die Straße entlang.
Schmidt schwieg.
„Eine Bitte noch: Wenn jemand nach ihr fragt,
rufen Sie mich an!“
Er nahm meine Visitenkarte und nickte.
58
Tarnowski ließ den Quarter auf der Tischplatte
kreisen. Adler. Verloren, er hatte auf Zahl gesetzt.
Von wegen, die Zeit heilt alle Wunden. Manche
werden von Tag zu Tag größer. Bis die Infektion den ganzen Körper beherrscht.
Irgendwann, das hatte Tarnowski von Anfang an
gewusst, würde er anrufen und fragen. Als der
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