Coltan
nach. Ich griff mir
zwei Kartons: „Lass uns gehen.“
„Wo ist eigentlich mein Auto?“
Maders Auto, tja.
Ich blickte sie schuldbewusst an: „So etwa zehn
Kilometer vor Schneeberg.“
„Du hast ihn dagelassen?“
Natürlich hatte ich ihn dagelassen. Was sonst. Er
parkte direkt hinter dem Wachhaus.
Bis nach Dresden ging es mit den Feldjägern und
von dort im regulären Gefangenentransport nach Berlin. Für Maders Auto war da
kein Platz.
„Wie wäre es mit Picknick?“
„Abgemacht!“, sie wuchtete ihren Karton auf die
Schulter, „Aber, falls Du glaubst, ich quäle mich mit Regionalexpress und
Bummelzug durch die Welt, bist Du falsch gewickelt!“ Sie strich sich die Haare
hinter die Ohren: „Ich hätte gern ein Cabrio. Hat heut jede bessere Mietwagenfirma.“
Sie balancierte den Karton und bewegte sich, afrikanischen
Lastenträgern gleich, aufrecht, mit leichtem Hüftschwung Richtung Treppenhaus.
69
Hanschke wartete schon auf uns und gab dem
Wachpersonal ein Zeichen. Die massive Schranke hob sich und wir fuhren auf den
gesicherten Parkplatz.
Angelegt in der Hochzeit der RAF, sollte er den
Staatsanwälten der Politischen Abteilung Schutz bieten. Die Angst vor
Autobomben war damals allgegenwärtig. Heute nutzten ihn nur noch wenige, seit ein
findiger Senator beschlossen hatte, Sicherheit sei nur gegen Geld zu haben und
Parkplatzgebühren verlangte. Das ungeschriebene Gesetz der Bürokraten:
einerseits und andererseits. Einerseits galten die Staatsanwälte der
Politischen noch immer als gefährdet, sollten aus Sicherheitsgründen nicht auf
der Straße parken. Andererseits hatte die Verwaltung festgestellt, dass kein
Beamter Anspruch auf einen kostenlosen Parkplatz hat. Den offensichtlichen
Widerspruch löst wie so oft eine Verwaltungsvorschrift.
Wir hoben die Kisten auf einen Aktenwagen und
machten uns auf den Weg durch Europas größte Justizfabrik:
Moabit. Ein Labyrinth aus scheinbar endlosen Gängen,
durch das Tag für Tag tonnenweise Akten von einem Schreibtisch zum nächsten befördert
wurden. Für die einen ein Tollhaus, für andere ein Unikum. Schleusen,
Fahrstühle, Rampen – Hanschke huschte immer vier, fünf Schritte voraus.
Plötzlich blieb er stehen. Sein Kopf war schon
um die Ecke gebogen, nur der Unterkörper hing noch einen halben Schritt zurück.
Eine Handbewegung bedeutete uns zu warten.
Mader sah mich an, lehnte sich an den Transportwagen.
Ich zuckte wie üblich mit den Schultern.
Plötzlich hallten Stimmen über den Flur. Die
Worte verschwammen in endlosen Echos. Hanschke blaffte, Wortbrocken, kalte,
befehlsartige Satzfetzen, keinen Widerspruch duldend. Ich riskierte einen
Blick. Vor dem Staatsanwalt standen zwei Männer und eine Frau. Ein kurzhaariger
Älterer mit grauen Haaren, der andere unauffällig, vielleicht Mitte dreißig. Die
Frau hielt sich auffallend aufrecht im Hintergrund und beobachtete die Szene.
Jetzt hielt der Ältere Hanschke etwas vors
Gesicht. Er sprach leiser und bestimmt, ich verstand kein Wort.
Die Frau löste sich von der Gruppe und schlenderte
langsam in unsere Richtung.
Ich gab Mader zu verstehen, dass sie mit dem Wagen
verschwinden solle. Doch sie kam nur zwei, drei Meter weit, da schwebte eine
mit einem Bundesadler verzierte Klappkarte vor meine Nase. Kurz nur, dann
klappte der Ausweis zu. Sie hatte lange, gepflegte Hände, die einen Hauch von
Pfirsich verströmten.
„Wollen wir?“, eine klare, helle Stimme. Ich schob
den Kopf um die Ecke und da lehnte sie mit dem Rücken an der Wand, die Arme vor
der Brust verschränkt.
„Van Broiken, den Rest klären wir da vorn.“,
kein Wort zuviel. Eine unmissverständliche Drehung ihres Kopfes bedeutete mir,
ihr zu folgen. Selbstsicher ging sie zurück zu den anderen. Ich warf Mader
einen kurzen Blick zu, sie war in einer Nische in Deckung gegangen und wartete.
Hanschke sah mich aus dem Augenwinkel kommen und
hielt mir das Papier entgegen: „Die Herrschaften übernehmen den Fall.“ Er
hustete trocken: „Es handelt sich um eine Sache der nationalen Sicherheit. Zwei
tote Nutten gefährden die nationale Sicherheit!“
„Reutter“, stellte sich der jüngere vor und
ließ routiniert seine Klappkarte aufschnappen. Doch diesmal war ich schneller
und griff zu: „Danke.“ Amtlich gesiegelt mit Bundesadler, aber keine
Dienststellenbezeichnung, nur ein Ministeriumsstempel. Ich ließ mir Zeit, zog
einen Stift heraus und notierte auf einem gelben Post-it Namen und Ausweisnummer.
Hanschke schnaubte
Weitere Kostenlose Bücher