Coltan
Demütigung sich langsam ausbreitete. Da war es wieder, das Zucken
im Augenlid. Er holte tief Luft.
„Da?“
„Sind Sie noch bei Trost, Mann!“
Trotz all der Jahre waren sie noch immer beim Sie ,
eine weise Entscheidung, wie er jetzt feststellte. „Wollen Sie mich fertigmachen
oder was?“
Tarnowski sog geräuschvoll Luft durch die
Nasenflügel.
„Ahr -“, Starnhagen konnte sich gerade noch
bremsen, „war bei mir. Was haben Sie sich dabei gedacht, wir sind doch hier
nicht in Russland oder beim KGB.“
„Die Nut-te hat Sie ge-se-hen. Nicht
mich.“ Den einzig zutreffenden Kraftausdruck verkniff er sich, während er jeden
Buchstaben, jede Silbe dehnte, als wolle er die unendliche Weite Russlands
verdeutlichen.
Keine Namen. Starnhagen beruhigte sich langsam:
„Ja. Und? Wie lange kennen wir uns schon? Ich habe Ihnen immer vertraut. Sie wollten das regeln, diskret. Jetzt haben wir zwei hyperventilierende Polizisten
am Hals, die glauben, endlich mal das ganz große Rad zu drehen.“
Tarnowski rang mit sich, sollte er seiner Wut endlich
freien Lauf lassen?
„Das Risiko war zu groß. Sie und ich, wir
stehen das jetzt durch.“ Schwer rollte das r aus seinem Mund.
Der Russe blickte aus dem Fenster und sah die
Zwiebeltürme des Kreml. Sie strahlten im Sonnenlicht, rot-golden, wie schon
seit Jahrhunderten. Ohne ein weiteres Wort legte er auf. Der falsche Mann an
der richtigen Stelle. Nach all den Jahren. Er goss sich einen Whisky ein, hielt
das Glas gegen die Sonne und studierte die Lichtbrechungen. Diesmal würde er
sich Zeit lassen, nichts überstürzen. Die Dinge geraten zu leicht außer
Kontrolle.
68
Mader räusperte sich. Ich hatte sie nicht
kommen hören, sie saß bereits am Schreibtisch, ihre Haare glänzten feucht. Als
ich aufblickte, rollten ihre Augen Richtung Tür.
Martens stand schweigend an den Rahmen gelehnt
und blickte mich an, die Arme vor der Brust verschränkt, in der Hand einen
Stapel Papiere.
Er kam wortlos auf mich zu und legte die alphabetisch
geordnete Auswertung von Lilys Telefonaten auf meinen Tisch.
„George hat sie mir in die Hand gedrückt.“
Es gab nichts zu sagen. G wie Gallert war gelb
markiert.
„Liest sich ein wenig wie das Who-is-who.“, er
drehte mir den Rücken zu und sah aus dem Fenster.
„Das könnte Sie Ihren Job kosten und Mader
auch.“
„Mader hat damit nichts zu tun. Ich trage hier
die Verantwortung. Mein Fall, mein Fehler.“
„Gallert. Ich, das wäre nie passiert, wenn Sie
… “
Martens stützte sich mit beiden Händen aufs
Fensterbrett und ließ den Kopf hängen.
„Und, was soll ich jetzt tun?“, fragte er
schließlich.
„Einen Bericht schreiben und die entsprechenden
Disziplinarmaßnahmen einleiten. Halten Sie sich einfach an die
Dienstvorschriften. Sie müssen mir den Fall entziehen. So einfach ist das.“
Er schüttelte langsam den Kopf, hatte mir gar
nicht zugehört: „Was ich sagen wollte, ich“, Martens stockte, „ich möchte mich
entschuldigen. Wegen der Nutte und …“
„Schon gut.“
„Ich kann es rauszögern. Zwei, drei Tage. Ich
muss die Listen ja nicht gesehen haben, und Mader natürlich auch nicht. Aber dann?“
„Dass müssen Sie schon allein entscheiden. Aber
weder Sie noch Mader werden sich wegen mir ins Unglück stürzen. Verstanden? Was
ich verlange, sind drei Tage, mehr nicht. Dann können Sie machen, was Sie für
richtig halten.“
Maders Blick verriet mir, dass ich wohl die
falsche Tonlage gewählt hatte. Martens sah mich mit müden Augen an. Ich hatte
ihn reden lassen, die übliche Litanei. Jetzt sah ich ihn an und die Schamesröte
stieg mir ins Gesicht. Der da vor mir stand, das war nicht mehr der Ingenieur
der Verwaltungsbürokratie, sondern ein Mann, der sich abgewiesen und beleidigt
fühlte. Ich hatte die ausgestreckte Hand einfach nicht wahrgenommen, weil sie
nicht in mein Bild von ihm passte.
„Entschuldigung.“
Er nickte nur und sah weiter aus dem Fenster
auf die gegenüberliegende Fensterfront: „Und jetzt?“
„Wir müssen noch die Reste auswerten, dann
schreibe ich einen Bericht mit allen Einzelheiten.“
Martens drehte sich um, malte mit seiner
Schuhspitze Kreise auf den grauen Filzbelag, die Hände tief in den Taschen
versenkt.
„Davor hatte ich immer Angst?“
Ich sah ihn fragend an.
„Irgendwann zu einem Tatort gerufen zu werden
und da meine Frau zu finden. Ich weiß bis heute nicht, was ich dann tun würde.“
Ein kurzes Nicken noch, dann ging er.
Mader sah ihm unschlüssig
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