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Coltan

Coltan

Titel: Coltan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Andress
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ihm nichts von Deiner, Du weißt schon,
erzählt.“, Mader drehte ihren Kaffeebecher: „Das ist Beweismaterial.“
    Sie hatte recht, aber auf eine Verfehlung mehr
oder weniger, kam es jetzt auch nicht mehr an. Dienstaufsicht, interne
Ermittlungen, wer weiß, Suspendierung, Entlassung.
    „Du musst es Hanschke erzählen – und Martens.“
    Ich griff mir das Telefon und bestellte einen Mannschaftswagen
mit Fahrer. In einer Stunde würde alles bei der Staatsanwaltschaft sein. Dann
nahm ich die CD aus der Jackentasche, zog das Netzwerkkabel aus dem Rechner und
sah mir das Dateiverzeichnis an. Es gab nur zwei Einträge: „Album“ und „Wir“.
    Mader meldete sich zum Duschen ab. Sie würde mir
und sich Zeit lassen.
    Das „Album“ enthielt unzählige Fotos, die
meisten zeigten einen Mann in den besten Jahren, der die guten deutlich hinter
sich gelassen hatte. Andere waren mit dem Selbstauslöser aufgenommen und zeigten
uns am Strand, in einem Park, beim Kaffee. Vier Jahre in Hunderten von Bildern.
Auf dem letzten sah sie mich direkt an und warf mir eine Kusshand zu, im
Hintergrund mein Bücherregal.
    Ich klickte das Bild weg und starrte auf das
Wappen der Berliner Polizei in der Mitte des Bildschirms.
    Blieb noch die Textdatei. Ich zögerte. „Wir“,
das klang so vertraulich. Vielleicht hatte es ja gar nichts mit dem Mord zu
tun, eine Art Poesiealbum oder Tagebuch.
    Nein, nicht jetzt, nicht hier. Die Fotos waren
für heute genug. Ich ließ den Cursor über den Bildschirm gleiten und drückte
die Enter-Taste.

66
    Liebster Jonathan,
    wie fange ich an, ich weiß es nicht, also
warum nicht so. Ich hab lange über einen passenden Anfang nachgedacht, einen Anfang
für mich, für Dich. Die richtigen Worte gesucht und nur das gefunden. Ich wollte
immer mit Dir über Deine Träume reden. Alles was ich darüber weiß, hast Du mir in
den Nächten erzählt, in denen ich neben Dir lag, während Du schliefst.
Wahrscheinlich weißt Du gar nicht, wie oft ich wach lag, meine Hand auf Deiner
Stirn und Dir zuhörte. Mitunter bekam ich Angst, doch es gab auch Momente, da
lagst Du glücklich lächelnd neben mir. Irgendwer hat geschrieben, wer keine
Träume hat, hat auch kein Leben. Als ich Dich kennenlernte, so richtig, als ich
Dich das erste Mal nachts mit Deinen Dämonen ringen sah, fiel mir der Satz
wieder ein. Aber was ist das für ein Leben, zu dem die schwarzen Schatten
gehören. Ich hatte Angst, sie würden sich zwischen uns drängen. Heute Nacht
habe ich von uns geträumt. Ich würde Dir gern davon erzählen, jetzt. Ich weiß
nicht, ob es wirklich so kommt. Manchmal habe ich Ahnungen, ohne zu wissen
warum. Aber ich fühle, dass etwas passieren wird. Vielleicht sind es auch nur
Dummheiten und Du wirst das niemals lesen.
    Eigentlich wollte ich Dir endlich von meinem
Leben erzählen. Ich will, dass Du alles weißt, ich habe geträumt, dass Du Dich
entschieden hast.
    Du siehst, es ist nicht so einfach, einen
Anfang, einen passenden Anfang zu finden.
     
    Wenn ich mir mein ganzes Leben von der Seele
geschrieben habe, dann wird die Vergangenheit begraben, aber nicht vergessen. Zumindest
wird sie mich nicht mehr hinterrücks überfallen.
    Wenn du vor diesen Zeilen sitzt, dann habe
ich es wohl nicht geschafft.
    Du wirst mich vermissen, erst wenig, dann
immer mehr. Aber später wird es wieder einfacher, von Tag zu Tag. Bis Du
endlich begreifst, das Schicksal ein dummes Wort ist, hinter dem man sich gut
verstecken kann, eine billige Ausrede.
    Du hattest schon abgeschlossen mit allem,
nachdem sie weg war. Für uns war in Deinem Leben kein Platz mehr vorgesehen.
    Ich weiß, Du wünschst Dir jetzt vielleicht,
früher gefragt zu haben. Aber ich wollte Deine Hilfe nicht, noch nicht. Ich
habe es angefangen und ich bringe es auch zu Ende!
    Was wäre ich sonst für Dich, ein schutzloses
spätes Mädchen, das sich unter Deinen weiten Mantel flüchtet? Ich weiß, da
stehen Männer drauf. Du nicht, Du hast mein Leben, hast mich akzeptiert. Ich denke
oft über den Tod nach, die letzten Sekunden. Und ich habe Angst. Nicht vorm
Tod, nur vorm Sterben.
    Schneeberg liegt jetzt in der Morgensonne. Mein
Buchhalter meint, ich bin frei. Das Geschäftsjahr endet am 31. Dezember, dann
wird alles aufgelöst und Lily verschwindet aus der Welt der Verklemmten und
steht mit Sack und Pack vor deiner Tür.
     
    Die Bahnfahrt war eine einzige Tortur. In
Dresden wollte ich umkehren, Dir alles erklären. Doch ich konnte Dir nicht in
die Augen sehen, nicht heute.

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