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Coltan

Coltan

Titel: Coltan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Andress
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war ich mir jetzt sicher.

70
    Der Tisch in der obersten Etage des Plattenbaus
war übersät mit Papieren, Urkunden, Rechnungen. Reutter und van Broiken
bewegten sich auf ihren Rollstühlen an der Tischkante entlang. Bislang erregte
nichts ihre Aufmerksamkeit.
    Die wohlgeordneten Geschäftsunterlagen einer
Hostess, aufbereitet für die kommende Steuererklärung. Auf dem Papier arbeitete
sie für die International Finance, zumindest erhielt sie von dort ihr Geld. Unspektakulär.
    Reutter gähnte lustlos. Nichts erklärte bislang
den enormen Einsatz, mit dem Ahrendt sie ins Getümmel gestürzt hatte. Auch van Broiken
blickte immer wieder fragend auf.
    Ahrendt studierte schweigend den Inhalt der
silbernen Datenscheiben. Hin und wieder schüttelte er den Kopf, dann war lange
nur das Geräusch der Maustasten zu hören. Friedhelm Reutter schob den Stuhl
zurück und beobachtete seinen Chef: „Erfolgreich?“
    Doch der hob nur mürrisch den Kopf: „Bitte?“
    „Ob Sie schon was gefunden haben?“
    Ahrendt schwieg, seine Lippen bildeten einen
dünnen Strich. Reutter ahnte, dass der Alte, wie er ihn oft im Stillen nannte,
gleich zuschlagen würde.
    „Arbeiten Sie eigentlich gern hier?“
    Er schnauzte nicht, sondern zischte. Jedes Wort
ein Peitschenhieb, auch wenn die Lautstärke exakt darauf eingestellt war, dass Reutter
und nur er die Frage hörte.
    Van Broiken spürte die Anspannung. Ihr Instinkt
riet ihr, sich unsichtbar zu machen. Die erste Runde im allgemeinen
Überlebenskampf begann. Reutter selbst hatte sie eingeleitet, ohne jedoch
darauf vorbereitet gewesen zu sein. So war das, wenn man seinen Gefühlen freien
Lauf ließ, mochten sie auch noch so aufrichtig sein. Er war ein ehrlicher Kerl,
ja, aber gerade das wird ihm das Genick brechen, dachte sie. Vor mir sitzt es,
das perfekte Opfer. Irgendwie fühlte sie schon fast so etwas wie Mitleid in
sich aufkommen.
    Doch das Gefühl währte nur wenige Sekunden,
denn wider Erwarten setzte der Adlatus nach, statt den Kopf zu senken. Schon
als er den Kopf hob und Ahrendt direkt ansah, schoss diesem die Zornesröte ins
Gesicht.
    „Bis gestern dachte ich noch, wir haben uns
vielleicht nur ein wenig verhoben. Kann jedem passieren. Heute neige ich langsam
zu der Vermutung, Sie sind zu weit gegangen.“
    Reutter war selbst verwundert über die Sicherheit,
mit der er seine Worte wählte. Keine plötzlichen Hitzewallungen, kein Kribbeln
im Bauch, frei und selbstbewusst.
    Er wusste nicht, worum es wirklich ging, aber
sein Gefühl sagte ihm, dass es schon lange nicht mehr um Sicherheitsfragen
ging, nicht um zwar illegale aber dennoch vertretbare Transaktionen zum Frommen
und Nutzen globalstrategischer Einflusspositionen. Die Nutten haben nur für die
eigene Tasche gearbeitet. Und bislang sprach alles für profanen Mord. Aber einfacher,
banaler Mord gehörte nicht zu ihren Aufgaben.
    Reutter wartete, doch Ahrendt sagte kein Wort. Seine
Hände umklammerten die verchromten Armlehnen, dann drückte er sich langsam aus
dem Stuhl, zupfte sein Jackett zurecht und schloss den dritten Knopf.
    Reutter lehnte sich zurück. Er hatte auf
Anweisung gehandelt im Rahmen seiner Befugnisse. Es würde ihn nicht allein
treffen. Schade nur, dass er vielleicht nie erfahren würde, wofür er seine
Karriere ruiniert hatte. Aber nach allem, was er inzwischen ausschließen
konnte, blieb nur noch eins: Geld. Rund um Tarnowski ging es immer nur um Geld,
und zwar um viel Geld, sonst nichts.
    Van Broiken beobachtete, was sie im Stillen das
Vorspiel nannte. Sollte sie sich in Reutter getäuscht haben? Wo war der
unterwürfige Karrierist geblieben, der Aktenträger, der blind ins Verderben rennt?
Warum auch nicht, schließlich war er nicht dämlich. Naiv ja, aber kein intriganter
Strippenzieher und trotz allem intelligent genug, um das Donnern einer sich
nähernden Lawine als das zu nehmen, was es war: die letzte Chance sich in
Sicherheit zu bringen. Außerdem: Wer nichts zu verlieren hat, der kann sich
wirklich frei fühlen – für einen Moment jedenfalls, den er gerade zu genießen
schien.
    Bei Ahrendt zeigte Reutters entspannte Haltung
Wirkung.
    Van Broiken hatte den Chef schon schreiend und
tobend, nie jedoch unschlüssig, geradezu in sich gekehrt erlebt. Jetzt stand er
hinter seinem 2000 Euro Drehstuhl, die Hände auf der Rückenlehne, und schob ihn
langsam vor und zurück.
    „Tja, dann.“
    Plötzlich fehlte ihm alles, was sie bislang an
ihm gefürchtet hatten. Die schneidende Kälte seiner Stimme. Der

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