Columbus
dem Navigator. Er netzt ihm die ausgedörrten Lippen, wechselt die Kompresse auf seiner Stirn, hält die fieberglühende Hand. Und Pedro beginnt zu reden. Manchmal versinkt er in unruhige Träume, aber meistens ist seine Rede klar und deutlich, und der Mann an seinem Lager zweifelt keinen Augenblick an der Wahrhaftigkeit dessen, was er da zu berichten hat.
Pedro erzählt: Sie fuhren in einer ständigen sanften Strömung nach Westen, getrieben von gleichbleibenden Winden. Aber dann verdüsterte sich der Himmel. Aus dem steten Wind wurde ein entsetzlicher Sturm, dem sie hilflos ausgeliefert waren.
Nachdem der Hurrikan sie über den Atlantik gejagt hatte und als sich der entsetzliche Sturm endlich legte, glaubten die Männer seines Schiffs sich verloren. Wähnten sich am Ende der Welt! Bestimmt würden sie irgendwann von der Erde herunterfallen ins Nichts. (Bekanntlich galt die Erde eben vielen noch als Scheibe!) Aber dann tauchten plötzlich Inseln am Horizont auf. Die Crew glaubte zuerst, eine Fata Morgana zu sehen, eine Sinnestäuschung, wie sie dem Wüstenreisenden manchmal erscheint und ihm Oasen inmitten des Sands vorgaukelt - aber nein, diese Erscheinung war real!
»Grüne Inseln!«, flüstert Pedro mit geschlossenen Augen. »Grüne Inseln, bewohnt von braunen Menschen, nackt, wie Gott sie erschaffen hat. Wir fürchteten uns. Aber sie waren freundlich, gaben uns Speise und Trank, nahmen uns in ihre Hütten auf.
Und uns trieben die Neugier und der Drang nach Wissen weiter. Wochenlang segelten wir zwischen den Archipelen hin und her - es war wie ein Traum.«
Columbus betupft das schweiÃfeuchte Gesicht des Todkranken mit einem in Melissengeist getränkten Tuch.
»Was ist mit dem Gold, von dem deine Kameraden geredet haben?«
»Gold?« Ein qualvoller Husten erschüttert die Brust des Navigators. »Wenn wir sie recht verstanden haben - das Goldland, das Eldorado, liegt noch weiter im Westen. Die wir gesehen haben, besitzen andere Schätze - Mäntel und Kronen aus bunten Federn, Muschelketten, seltsame, hier unbekannte Pflanzen...« Er röchelt.
»Wolltest du nicht weiter und das Goldland finden?«, fragt Columbus geduldig.
»Natürlich wollte ich. Aber dann - wir bekamen alle das Fieber. Die Hälfte der Besatzung starb gleich. Und die Männer kriegten es mit der Angst zu tun. Wie sollten wir zurückkommen? Und sie beschlossen, nach Haus zu fahren. Ich wurde überstimmt. SchlieÃlich setzten wir Segel. AuÃerdem...«, er lächelt gequält. »Den besten Schatz, der mir daheim Ruhm und Ehre und jede Menge Gold eintragen wird - den habe ich in meinem Seesack, eingehüllt in wasserdichtes Ãlpapier und dicke Schichten Wachstuch...«
»Du hast Landmarken gezeichnet? Portolanen?«
Der Sterbende nickt. »Ich werde sie dem König bringen, wenn ich gesund bin. Mein Glück ist gemacht.«
Columbus betrachtet ihn, diesen Mann, der nicht zu ahnen scheint, dass dies seine letzten Stunden sind. »Meinst du, du hast Indien erreicht? Oder Zipangu?«, fragt er mit angehaltenem Atem.
»Ich weià nicht, Cristobal. Inseln eben. Ruhm und Ehre und Gold... Kurs Südsüdwest...« Er versinkt wieder in eine Phase unruhigen Schlafs. Columbus widersteht der Versuchung, Pedros Seesack gleich zu inspizieren. Das hat Zeit. Gott wird diesen Mann bald zu sich rufen - man sieht es an der spitzer werdenden Nase, den eingefallenen Augen.
»Wie kam es, dass ihr euer Schiff verloren habt bei der Rückreise?«, fragt er, nachdem der Kranke wieder aufgewacht ist und nach Wasser verlangt hat.
Pedro stöhnt. »Würmer. Würmer wie Bohrer. In den warmen Gewässern haben sie das Holz unserer Karavelle befallen. Wir versuchten zu kalfatern - aber dann war das Pech alle. Kurz vor Madeira sind wir gesunken. Nur wir vier konnten uns retten - wie geht es den anderen?«
»Besser«, sagt Columbus beruhigend. (Inzwischen ist auch der Dritte gestorben.) »Wie lange wart ihr unterwegs zu diesen fremden Ländern, Señor Pedro?«
Der Navigator schlieÃt die Augen. »Der Sturm hat uns gejagt«, murmelt er. »Es waren keine zwanzig Tage...«
Columbus stockt der Atem. Keine zwanzig Tage. Nach Westen segeln, um den Osten zu finden. Er wusste immer, dass die Route der Portugiesen um das südliche Afrika herum verlorene Zeit bedeutet. Zumal die Route noch nicht einmal gefunden ist. Er
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