Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)
scherzten und lachten mit Lorenzo, wie sie es gewohnt waren, bis sie eines Tages unter dem Vorwand, mit ihm zum Vergnügen einen Ausflug aufs Land zu machen, Lorenzo mitnahmen. Als sie an einen sehr einsamen und abgelegenen Ort kamen, nutzten sie die Gelegenheit und töteten den völlig arglosen Lorenzo, ohne daß jemand etwas bemerkte.
9 Nach Messina zurückgekehrt, erklärten sie, sie hätten ihn auf Geschäftsreise geschickt. Dies klang glaubhaft, denn das hatten sie vorher schon oft getan.
10 Da Lorenzo nicht zurückkam, litt Lisabetta unter seiner langen Abwesenheit. Immer wieder befragte sie die Brüder eindringlich nach ihm. Als sie sich einmal besonders leidenschaftlich nach ihm erkundigte, da erwiderte ihr einer der Brüder: »Was soll denn das heißen? Was geht dich Lorenzo an, daß du so oft nach ihm fragst? Wenn du in Zukunft weiter nach ihm fragst, dann kriegst du von uns die Antwort, die du verdienst.«
11 Von da an stellte die junge Frau keine Fragen mehr. Sie litt still und trauerte; sie hatte Angst, ohne genau zu wissen, wovor. In der Nacht aber rief sie sehnsüchtig seinen Namen und flehte ihn an, zurückzukommen. Immer wieder klagte sie unter vielen Tränen über sein langes Ausbleiben. Nichts freute sie mehr; ihr Leben bestand nur noch aus Warten auf ihn.
12 Eines Abends, nachdem sie viel geweint hatte, weil Lorenzo nicht zurückkam, war sie unter Tränen eingeschlafen. Da geschah es in der Nacht, daß ihr Lorenzo im Traum erschien, totenbleich und zerschunden, die Kleider zerfranst und zerfetzt, und ihr war, als sagte er:
13 »O Lisabetta, du rufst ständig nach mir und trauerst, weil ich so lange wegbleibe. Mit deinen Tränen klagst du mich heftig an. Aber du mußt wissen: Ich kann nicht mehr zurückkommen, denn deine Brüder haben mich an dem Tag, als wir uns das letzte Mal gesehen haben, umgebracht.« Er beschrieb ihr die Stelle, wo sie ihn verscharrt hatten. Er bat sie, ihn doch nicht länger zu rufen und auf ihn zu warten. Dann verschwand er.
14 Die junge Frau wachte auf und fing bitterlich an zu weinen, denn sie glaubte dem Traumgesicht. Als sie dann am Morgen aufstand, nahm sie sich vor, an die bezeichnete Stelle zu gehen und nachzusehen, ob es so sei, wie sie es im Traum gesehen hatte. Ihren Brüdern wagte sie nicht, irgend etwas von dem Traum zu sagen.
15 Aber sie erhielt von ihnen die Erlaubnis, einen Spaziergang außerhalb des Stadtgebietes zu machen, freilich in Begleitung einer alten Dienerin, die in alle ihre Geheimnisse eingeweiht war. Sobald sie nur konnte, ging sie zu der Stelle. Sie schob die dürren Blätter beiseite, die dort lagen, und begann zu graben, wo das Erdreich weniger hart war. Sie hatte kaum damit begonnen, da fand sie die Leiche ihres armen Liebhabers. Sie war noch in keiner Weise verwest oder zersetzt. So erkannte sie, daß ihr Traum offensichtlich wahr war.
16 Da erfaßte sie ein Schmerz, wie noch keine Frau ihn je erlitten hat. Sie erkannte, daß dies nicht der Ort war zu weinen. Am liebsten hätte sie den ganzen Körper mitgenommen, um ihn angemessen zu beerdigen. Aber weil sie sah, daß das nicht möglich war, schnitt sie mit einem Messer, so gut sie konnte, den Kopf vom Rumpf ab, schlug ihn in ein Handtuch ein, übergab ihn der Dienerin, warf unbeobachtet Erde über den Rumpf und brach nach Hause auf.
17 Dort schloß sie sich mit dem Kopf in ihr Zimmer ein, beugte sich über ihn und weinte lang und bitter. Sie weinte so sehr, daß ihre Tränen ihn über und über benetzten. Dabei bedeckte sie ihn mit Küssen, überall. Dann nahm sie einen großen schönen Topf, einen von denen, in die man Majoran oder Basilikum pflanzt, und legte den Kopf hinein, in ein feines Tuch gewickelt. Sie bedeckte ihn mit Erde, setzte einige Pflänzchen von schönstem salernitanischem Basilikum hinein und begoß ihn nur mit Rosenwasser, mit einer Essenz aus Orangenblüten oder mit ihren Tränen.
18 Sie nahm die Gewohnheit an, ständig neben diesem Topf zu sitzen und ihn voller Sehnsucht anzuschauen, barg er doch in sich ihren Lorenzo. Wenn sie ihn lange angeschaut hatte, dann beugte sie sich über ihn und begann zu weinen, lange, lange, bis das Basilikum ganz benetzt war mit ihren Tränen …
23 Die junge Frau aber hörte nicht auf zu weinen und nach ihrem Basilikumtopf zu verlangen. Sie weinte sich zu Tode, und so fand ihre unglückliche Liebe ein Ende. Aber nach einiger Zeit erfuhren viele Menschen von dem Vorfall. Und einer von ihnen komponierte das Lied, das man bis zum heutigen
Weitere Kostenlose Bücher