Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)
ich habe mir einen eigenen klugen Plan ausgedacht, wie ich ihn zu mir kommen ließ; und es war weise Beständigkeit, von ihm wie von mir, daß ich mein leidenschaftliches Begehren so anhaltend und mit Genuß befriedigen konnte.
38 Du wirfst mir vor, die Sünde der Liebenden begangen zu haben, aber wenn ich mich nicht täusche, wirfst du mir mit größerer Schärfe vor, daß ich mich mit einem Mann niederen Standes zusammengetan habe. Du wärst mir weniger böse, wenn ich dazu einen Mann von Adel gewählt hätte. Aber damit folgst du einem vulgären Vorurteil, nicht der Wahrheit. Du begreifst offenbar nicht, daß du dann ja nicht meinen Fehler, sondern den der Fortuna tadelst; sie erhöht oft Nichts-Würdige und läßt die Würdigsten fallen.
39 Aber lassen wir das jetzt, wirf nur einmal einen Blick auf den Ursprung der Dinge. Dann siehst du: Wir sind alle Fleisch aus einem einzigen Fleisch, und ein einziger Schöpfer hat alle Seelen mit gleichen Kräften, mit gleichen Fähigkeiten und mit gleicher Tugend erschaffen.
40 Gleich kamen wir auf die Welt, gleich kommen wir auch jetzt noch zur Welt. Das erste, was Unterschiede zwischen uns schuf, war die Tugend. Wer mehr davon hatte und mehr danach handelte, den nannte man ›adlig‹, im Unterschied zu dem Rest, der nicht adlig war. Später kam die entgegengesetzte Gewohnheit auf; sie hat dieses Gesetz nur verdunkelt, nicht aufgehoben. Weder aus der Natur noch aus den menschlichen Sitten ist es verschwunden. Deshalb ist in Wirklichkeit jeder, der tugendhaft handelt, von Adel. Nennt man ihn anders, dann liegt der Fehler nicht bei dem, der so falsch benannt wird, sondern bei dem, der ihn falsch bezeichnet.
41 Sieh dir die Männer unter deinen Edelleuten näher an, prüfe ihr Leben, ihre Sitten und ihr Benehmen, und dann vergleiche sie mit Guiskard. Wenn du ohne Leidenschaft urteilst, dann wirst du urteilen, daß er der Vornehmste ist. Alle deine Adligen sind dagegen nur Tölpel. Was die Tugend und den Wert Guiskards angeht, so habe ich mich dabei nicht auf das Urteil anderer Leute verlassen; ich habe einzig auf deine Worte und auf meine Augen gebaut.
42 Warst du es nicht selbst, der ihn am meisten gelobt hat, und zwar unter allen Hinsichten, unter denen ein guter Mann Lob verdient? Darin hattest du völlig recht, denn wenn meine Augen mich nicht getäuscht haben, dann habe ich selbst gesehen, daß er das Vortreffliche, das du an ihm gelobt hast, auch tatsächlich vollbracht hat, wunderbarer noch, als deine Worte es ausdrücken konnten. Bin ich dabei getäuscht worden, dann ganz allein von dir.
43 Wirst du also weiterhin behaupten, ich hätte mich mit einem Mann niederer Herkunft zusammengetan? Dann behauptest du die Unwahrheit. Würdest du behaupten, ich habe mich mit einem armen Mann eingelassen, dann könnte ich dir recht geben, aber dann müßtest du dich schämen, daß du einen so ausgezeichneten Diener, einen so tüchtigen Mann, so schäbig belohnt hast. Armut schließt Adel nicht aus; sie ist unvereinbar nur mit Besitz. Viele Könige und viele große Fürsten sind früher einmal arm gewesen, und viele Feldarbeiter und Schafshirten waren früher einmal steinreich. Das gilt nicht nur für früher, sondern auch für heute.
44 Das letzte Problem, das du aufgeworfen hast, nämlich was du mit mir anfangen wirst, das kannst du schlicht vergessen. Wenn du die Absicht hast, in deinem hohen Alter grausam gegen mich zu sein, was du als junger Mann nie warst, dann rase nur grausam gegen mich, die ich der Hauptgrund bin für diese Sünde, wenn es denn überhaupt eine Sünde ist. Ich bin nicht bereit, dich irgendwie anzuflehen. Daher kannst du sicher sein, wenn du mit mir nicht das gleiche machst, was du mit Guiskard getan hast oder tun wirst, so werden meine eigenen Hände es tun.
45 Jetzt weg mit dir, mach daß du fortkommst, weg zu den Frauen! Dort kannst du deine Tränen vergießen. Wenn du aber glaubst, wir hätten es verdient, dann entscheide dich für die Grausamkeit, nur töte uns beide mit einem einzigen Schlag.«
Der Fürst nimmt die Todesankündigung nicht ernst, beschließt, die Tochter zu schonen; er läßt Guiskard umbringen und schickt Guiskards Herz in einer goldenen Schale seiner Tochter. Sie weiß sofort, worum es sich handelt, übergießt das Herz, wie zur Bestattung, mit ihren Tränen, und bereitet das Gift vor, sich zu töten. Über religiöse Bedenken fällt kein Wort. Sie will ihre Seele mit seiner verbinden. Das Jenseits nennt sie eine ihr unbekannte Gegend.
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