Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)
geprägt. Dieses Schlagwort zog ein umfangreiches gelehrtes Lebenswerk zu drei Irrlehren zusammen:
Die Ewigkeit der Welt. Das war schon der ›Irrtum des Aristoteles‹ gewesen;
Die Einzigkeit des möglichen Intellekts für alle Menschen schließe individuelle Unsterblichkeit der Seele aus;
Der Anspruch der Philosophie, notwendiges Wissen zu sein gegenüber den immer nur wahrscheinlichen Erzählungen der Theologen, deren plausible Reden ausreichten zur Erziehung des Volkes. Insofern seien sie ethisch-politisch unentbehrlich.
Albert von Köln sah in den Schriften des Averroes eine Fülle von Einsichten; er war weit davon entfernt, ihn auf die drei genannten Irrlehren festzulegen, ohne diese zu teilen. Er erklärte, er stimme mit Averroes im wesentlichen überein. Das bezog sich zunächst auf Alberts Arbeit an Aristoteles-Kommentaren; es schloß nicht aus, daß Albert in theologischen Texten einige Mysterien des Christentums – so die neue Lehre von der Substanzverwandlung beim Abendmahl – vor philosophischen Zugriffen verteidigte. Die Arbeit an Aristoteles–Averroes hinderte ihn nicht, sich dem Weltsystem des Avicenna und des Liber de causis zu nähern, die das durch Zwischeninstanzen vermittelte Ausströmen der göttlichen Einheit in die Vielheit der Welt beschrieben. Dies war wiederum anschlußfähig an die neuplatonische Tradition, die Boethius und in anderer Form Dionysius Areopagita lehrten.
Albert hat lange gelebt, und es ist nicht einfach, seine vielfältigen theoretischen Ansätze einheitlich darzustellen. Allerdings trifft es nicht zu, daß er sich beim Kommentieren den Ansichten des jeweiligen Autors angeschlossen habe, ohne sein eigenes Urteil abzugeben; er unterbrach vielmehr häufig die Textarbeit, um seine persönliche Wertung zu begründen. Noch wichtiger: Albert trieb seine Studien zu Aristoteles, Avicenna und Averroes nicht in der Absicht, dieses neue griechisch-arabische Wissen in eine Synthese des christlichen Denkens einzufügen; er machte vielmehr anhand dieser Texte klar, daß die Christen noch keine befriedigende Theorie hatten, selbst nicht auf Gebieten, von denen sie meinen mochten, Augustin und die lateinischen Kirchenväter hätten sie hinreichend bearbeitet. Das galt für das Konzept der Seele ( anima ) und des Intellekts, ebenso für die Entstehung der Ordnung des Universums und die Theorie der menschlichen Glückseligkeit. Es galt für viele Einzelfragen der Ethik, der Seelentheorie und erst recht der Naturkunde. Albert machte dem Westen klar, daß er intellektuell unterlegen war. Dies tat er nicht nur in einzelnen schroffen Aussprüchen, sondern durch jahrzehntelange Erklärung der inzwischen übersetzten griechisch-arabischen Texte. Daher hatte er großen Erfolg, auch wenn er sich bitter zu beklagen hatte über die philosophiefeindliche Rohheit seiner Ordensbrüder. Die umfassende Rezeptionsbewegung, die er nicht allein bewirkt hat, war nicht mehr zurückzudrängen; ab etwa 1250 bestand das Studium der Philosophie in der Auseinandersetzung mit Aristoteles, Avicenna, dem Liber de causis und Averroes. Davon macht Thomas von Aquino keine Ausnahme, wie sein Sentenzenkommentar beweist. Denn es war offensichtlich: die augustinische, überhaupt die lateinische Tradition war an vielen Lebensfragen vorbeigegangen. Petrus Lombardus hatte die patristischen Texte zusammengefaßt, ohne auf Philosophie, Medizin und Naturforschung auch nur einen Blick zu verschwenden. Diese Enge, mit der man vor 1150 leben konnte, lag 1250 vor aller Augen; Wellen der Neuorientierung durch Rezeption und Assimilation setzten ein, die sich keineswegs auf Albert beschränkten.
Das intellektuelle Gesamtklima änderte sich. Die Sprache der Theoretiker schichtete zwischen 1150 und 1300 Themen und Termini, Beweisverfahren und Quellen um. Die Kirche zögerte; sie verbot zuerst das Studium der Metaphysik und der naturkundlichen Bücher des Aristoteles und der Kommentare. Die logischen Schriften waren weiterhin erlaubt, auch die ethischen, aber Metaphysik und Naturforschung sollten an der kirchlich subventionierten und kontrollierten Universität keinen Platz finden. Das befahl der zuständige Erzbischof im Jahr 1210; der päpstliche Legat Robert, der Vertreter Innozenz’ III., wiederholte 1215 diese Vorschrift. [911] Albert hatte damals noch gar keinen Einfluß, aber die Überlegenheit, ja Unentbehrlichkeit des griechisch-arabischen Wissens war erkannt. Der Papst warnte die Theologen von Paris, sich den
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