Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)
diese. Viele Franziskaner legten sich auf die These vom Vorrang der Liebe und des Willens vor der Vernunft fest; viele (nicht alle!) Dominikaner bezogen die entgegengesetzte, die intellektualistische Position, behaupteten also den Vorrang des Intellekts vor dem Willen. Damit trat ein unfruchtbarer Schulstreit in die Welt. Denn beide Parteien mußten zugestehen, daß auch die Seelenkraft, die sie für zweitrangig erklärten, zum Wesen der geistigen Seele gehöre. Wer um 1300 studierte oder lehrte, wurde auf diese Frage gestoßen, die nicht selten bloßer Wortstreit war. Sowohl Meister Eckhart wie Dante haben sich mit ihr befaßt. Beide haben sie im Sinne der dominikanischen Ordensdoktrin entschieden und ihr neue Seiten abgewonnen.
8.
Der historische Kompromiß: Thomas von Aquino
Die kompakteste, brauchbarste aller Ordensautoritäten wurde Thomas von Aquino († 1274), besonders nachdem Johannes XXII. ihn 1323 heiliggesprochen hatte. Er sollte Richtschnur sein nicht nur für Dominikaner, sondern für die Gesamtkirche. Er wurde monumentalisiert. Er wurde ein Teil der Institution. Für die historische Erkenntnis ist es daher wichtig, sein Werk als die Arbeit eines individuellen Autors zu lesen, der sich entwickelt und der in zeitlich abfolgenden Texten verschiedene Absichten verfolgt. Zum Beispiel hat er die Summe der Theologie ausdrücklich als Universitätstext für Anfänger konzipiert, während er in den Quaestiones disputatae argumentativ weiter ausholt.
Sein Ziel war – anders als das Alberts, ähnlich wie das Bonaventuras –, einen einheitlichen Gesamtentwurf der christlichen Wissenschaft zu schaffen, aber dabei der natürlichen Vernunft und damit der aristotelischen Philosophie einen größeren Freiraum zu belassen. Thomas hat einmal seine Absicht mit großer Klarheit kurz zusammengefaßt. Er schrieb:
Da das Ziel der Philosophie unterhalb des Ziels der Theologie liegt und auf dieses hingeordnet ist, muß die Theologie über alle anderen Wissenschaften herrschen und das verwenden, was sie geben. [916]
Der Theologe soll die Ergebnisse aller anderen Wissenschaften für seinen höheren Zweck nutzen, dazu muß er sich in sie einarbeiten; er kann ihnen nicht ihre Ergebnisse vorschreiben. Doch soll die Theologie allen Wissenschaften Befehle erteilen, imperare . Sie kontrolliert sie und disponiert über sie. Ganz ähnlich dachten die genannten Päpste sich das Verhältnis zu den europäischen Königreichen: Sie gestatteten begrenzte Autonomie. Wo die Grenzen lagen, das bestimmten sie im Blick auf ihren höheren Zweck. Sie förderten die Wissenschaften, sofern sie sich der theologisch korrigierten Vernunft unterstellten. Thomas sah ein, daß er sich sorgfältig und bis in Texteinzelheiten hinein mit Aristoteles, Avicenna und Averroes auseinandersetzen mußte; daher schrieb er wie Albert Kommentare zu Aristoteles. Dabei suchte er Aristoteles und Averroes zu trennen, Aristoteles für die christliche Weltsicht zu gewinnen und Averroes als Verunstalter des Aristotelismus zu widerlegen. Wenigstens war dies seine späte Position. Vor 1265, als der große Streit noch nicht entflammt war, schrieb er über Averroes milder. Im Sentenzenkommentar gab er informative Berichte über dessen Lehre; er wußte, daß er in den Fragen der Welterschaffung, also der Ewigkeit der Kosmos, und in den Konzepten von Seele und Intellekt bei Aristoteles– Averroes Rat holen mußte. Für jemanden, der nicht allzu genau hinsah, schien es passagenweise, als sei Thomas ein Anhänger des Averroes. Aber Thomas versuchte, Aristoteles so viel abzugewinnen, als ihm für ein zusammenhängendes christliches Denken verwertbar schien.
Bei Aristoteles und Averroes hatte die Substanz, also das einzelne Ding, große ontologische Selbständigkeit; Thomas griff das auf, machte aber eben diese Substanz vom ständigen Seinszufluß der ersten Ursache abhängig. Die Substanz galt ihm nicht mehr als das selbständige Seiende, sondern als das beständig Sein Empfangende. Das war nicht mehr Aristoteles–Avicenna–Averroes, sondern eine thomistische Sonderleistung, die unter dem Namen der ›Realdistinktion‹ (zwischen der Substanz und ihrem Sein) in die Geschichte eingegangen ist. Diese theologisierende Umformung der Metaphysik des Aristoteles zog den Widerspruch sorgfältiger Aristoteles-Leser geradezu herbei. Nach dem Tod des Thomas begannen daher heftige Debatten. Aristoteles, Augustin und Averroes wurden jetzt genauer gelesen als zuvor, und manchem
Weitere Kostenlose Bücher