Commissaire-Llob 1 - Morituri
Kleinen los …“
„Dein Spielzeug auf den Boden, und zwar plötz-
lich!“
Serdj macht mir ein Zeichen nachzugeben.
Mein Magen verkrampft sich. Über meinen Rü-
cken jagen prickelnde Schauer. Der Dealer kichert
noch immer, so kalt und zynisch, daß ich feuchte
Hände bekomme.
„Schneller, Scheißbulle!“
Die Pistole fällt mir aus der Hand. Ich weiß nicht,
was passiert ist. Wie im Traum sehe ich, wie der
Dealer das Kind in Richtung Lino stößt, um seine
Seite zu decken, und seine Kanone auf mich an-
setzt. Ein Schuß … Ich warte lange darauf, daß ich
zusammenbreche. Der Dealer zuckt mit keiner
Wimper. Er kichert und kichert, dann färben sich
seine Zähne rot und ein Rinnsal Blut quillt aus sei-
nen Mundwinkeln hervor. Er taumelt wie in Zeit-
lupe und schlägt endlich auf den Boden auf.
Serdj springt von der Mauer herunter, stößt mit
dem Fuß die Waffe des Dealers weg, beugt sich
über ihn.
„Er atmet noch. Einen Krankenwagen, schnell!“
* * *
Der Dealer ist ein gewisser Slimane Abbou. Die
Kugel von Serdj war ein glatter Lungendurchschuß
ohne größere Verletzungen. Der Polizeiarzt sagt, er
müsse unter Beobachtung bleiben. Ich verspreche,
ihn im Auge zu behalten.
Eine Hausdurchsuchung bei ihm hat uns ein Fax
eingebracht, zwei abgesägte Schrotflinten und jede
Menge Munition, dazu ein ganzes Sortiment zum
Bombenbau, ein Handbuch über explosive Stoffe
sowie Traktate, die mit Abou Kalybse gezeichnet
sind, dazu eine Liste mit den Namen von dreiund-
zwanzig Intellektuellen, von denen acht mit einem
Kreuz markiert sind, darunter der Dichter Jamal
Armad, Sissane Miloud vom Fernsehen und der
Theatermann Aït Méziane …
Entweder kann Abou Kalybse meinen Stil nicht
leiden oder er liest keine Krimis, denn mein Name
ist nicht für sein Festival nominiert.
13
Omar Malkom, auch Iks genannt, besitzt ein Elekt-
rofachgeschäft in einem ruhigen Viertel. Sein La-
den reicht bis auf den Gehweg hinaus, ist anspre-
chend aufgemacht und verfügt über ein riesiges
Schaufenster und eine Tür, die klingelt, wenn man
sie aufmacht.
Er kritzelt gerade etwas in ein Registerheft, ne-
ben sich hat er einen riesigen Stapel von Rechnun-
gen liegen.
Serdj schließt die Tür, dreht das Schild open auf closed, damit uns niemand stört, und verschränkt die Arme.
„Was kostet der Kühlschrank?“ melde ich mich.
Omar hebt die Hand, um nicht aus der Konzent-
ration gebracht zu werden, tippt auf einem Ta-
schenrechner Zahlen ein und überprüft seine Zettel,
wobei er die Zunge in Schülermanier herausstreckt.
Er ist ein stattlich gewachsener Schwarzer mit
Fäusten, die einen Esel locker sein Gebiß verschlu-
cken lassen könnten. Er trägt einen Dreiteiler, wie
die Banker sie tragen, eine goldene Armbanduhr
und eine falsche Ray-Ban. Sein Kopf ist an den
Schläfen und im Nacken streng ausrasiert, das
verbleibende Viereck von Haaren oberhalb der
Stirn ist phosphorgrün eingefärbt.
„He, Punk, gehen die Geschäfte gut?“
Er legt seinen Schreiber widerwillig hin.
„Welcher Kühlschrank?“ fragt er.
Ich halte ihm meinen Ausweis unter die Nase.
„Diese Art von Kreditkarte akzeptieren wir nicht.
Hier zahlt man cash.“
„Ich hab’s aber eilig!“
Er fährt sich nervös mit der Hand über die Stirn.
„Polizei, das hat mir gerade noch gefehlt. Ihr
bringt nur Unglück über mein Geschäft. Seid ihr
hier in der Gegend bekannt? Wenn ja, werde ich
wohl umziehen müssen.“
„Kein Grund zur Sorge“, beruhigt ihn Serdj.
Er zwängt sich hinter seinem Ladentisch hervor
und tänzelt zu den Rolläden, um sie zu schließen.
„Wollt ihr mich verhaften oder nur ein bißchen
quatschen?“
„Hängt ganz von dir ab.“
Er kichert und vollführt eine Art Breakdance.
„Tsss! Ich bin immun.“
„Eine Auffrischungsimpfung könnte nicht scha-
den.“
Er dreht sich um, mustert uns und begibt sich
hüftschwingend hinter seinen Ladentisch zurück.
So betont lässig, wie er sich gibt, ist er sicher ein
Fan von Spike Lee.
„Hör mal, kho, ich bin sauber. Meine Buchfüh-
rung ist so penibel wie das Strafgesetzbuch.“
„Mourad Atti war doch ein Kumpel von dir.“
Nicht die leiseste Regung auf seinem Ebenholz-
gesicht. Seelenruhig fährt er mit der Hand über
seinen Rechner. Nach einer Schweigeminute für
den Dahingegangenen beginnt er zu reden:
„Er war mehr als ein Kumpel. Aber er lebte sein
Leben, ich das meine. Wenn ihr glaubt, daß ich mit
dem,
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