Commissaire-Llob 1 - Morituri
sich anschickte, die Herzen
der Menschen zu erobern, schließlich der Emp-
fangsraum im Kommissariat, wo er mir das meine
brach.
„Verdammt!“
Mina stellt das Radio leiser. Sie weiß, wieviel Aït
mir bedeutet hat. Ihre Augen verdunkeln sich. Sie
lehnt sich gegen die Wand und ballt die Fäuste.
Wortlos schnüre ich die Schuhe fertig zu, stehe
auf, schlüpfe in meine Jacke und gehe in die Kü-
che. Wortlos gebe ich zwei Stück Zucker in mei-
nen Kaffee, etwas Marmelade auf mein Brot und
frühstücke, während ich auf einen Sprung in der
Scheibe starre.
Drei Hupstöße kündigen mir Linos Ankunft an.
Wortlos wische ich mir den Mund an einem Ge-
schirrtuch ab, gehe hinaus ins Treppenhaus und
vergesse, die Tür hinter mir zu schließen.
Die Sonne vertreibt die letzten Widerstandsnester
der Nacht, die sich in die hintersten Winkel der
Toreinfahrten zurückgezogen haben. Ihre galvani-
sierten Strahlen prallen von den Scheiben ab, blit-
zen auf den Karosserien der Autos auf, tollen als
eine Vielzahl von Irrlichtern auf den taunassen
Gehsteigen umher, doch kein Funke, der es schafft,
die Augen der Passanten zu erhellen.
Die Leute gehen mit unhörbarem Rascheln an-
einander vorbei, gedankenverloren, schlafwandle-
risch. Etwas in ihrem Gang zeugt von tiefster Re-
signation. Sie haben die Haltung derer, die der
Messias persönlich beleidigt hat. Ihr Schweigen ist
das Schweigen derer, die einander nicht mehr ver-
stehen.
Lino hält mir die Tür auf. Er sagt nicht guten
Morgen. Er weiß, daß ich weiß.
Wortlos bahnen wir uns einen Weg durch den
Nebel.
Im Büro erfahre ich von Serdj, daß einer der bei-
den Mörder von Aït Méziane bereits verhaftet ist.
Sofort stelle ich mir vor, wie ich ihn bei lebendi-
gem Leib in Stücke zerreiße.
Als ich in seiner Zelle ankomme, weicht meine
Wut. Aschfahl und fröstelnd kauert er in der Ecke.
Ein Jugendlicher, kaum größer als ein Gewehr.
Offensichtlich von den Ereignissen überfordert.
Sein Blick, der eines gefangenen Vogels, schießt
nach allen Seiten, ohne den meinen zu streifen.
Zitternd preßt er die Hände zwischen die Schenkel.
Mir ist gleich klar, daß wir mit ihm als Führer so
bald nicht über den Berg sein werden.
Zunächst streitet er durch die Bank alles ab. Nach
einer halben Stunde wird er schwach: Er arbeitet
als Mechanikerlehrling, Place de la Gare. Anfangs
hat man ihn mit einem Einbruch hier, einem Bo-
tendienst dort betraut. Dann trug man ihm auf, A-
larm zu schlagen, sobald ein Taghout des Viertels
zu ihm kam. Dann mußte er seine Jacke an den
Türflügel hängen.
„Das Schießen übernimmt Didi. Ich nenne ihm
das Ziel und stehe Schmiere. Nach dem Anschlag
verstecke ich die Waffe in der Werkstatt. Am A-
bend kommt jemand vorbei und holt sie ab.“
Er wurde vor fünf Monaten am Tag nach einer
Razzia in der Innenstadt rekrutiert. Er kam aus dem
Bad. Polizisten stießen ihn in den Einsatzwagen.
Drei Stunden blieb er auf dem Kommissariat. Miß-
handelt wurde er nicht, aber man nahm seine Her-
kunft und seine Anschrift auf. Didi nennt das die
schwarze Liste. „Du bist geliefert!“ hat er ihn an-
geschrien. „Eines Tages, wenn sie alles andere
abgegrast haben, kommen sie und holen dich.“
„Ich habe nicht gewußt, daß er mich reingelegt
hat!“ heult er. „Didi hat versprochen, auf mich auf-
zupassen. Er gab mir immer wieder Geld und nahm
mich ins Stadion mit. Er sagte mir, wir wären Brü-
der und daß Gott unsere Taten segnen würde. Er
gab mir Taschen, die ich bei mir aufbewahren soll-
te. Dann war da plötzlich ein Revolver. Und dann
gleich der Nachbar, einer vom Fernsehen.“
„An wie vielen Attentaten warst du beteiligt?“
„Nur an drei, ich schwöre es. Nicht eines mehr.
Didi hat sie erschossen. Ich weiß nicht einmal, wie
man eine Kugel in die Trommel steckt.“
„Wer war das zweite Opfer?“
„Jamal Armad. Didi hat sehr schlecht über ihn
geredet. Er sagte, daß dieser Kerl der Satan sei, daß
er Obszönitäten schreiben und die Jugend verder-
ben würde.“
„Wo ist Didi?“
„Ich weiß nicht. Er hat mir nie gezeigt, wo er
wohnt. Wenn er Arbeit für mich hat, kommt er zur
Werkstatt. Ich treffe ihn dann in einem Café zwei-
hundert Meter weiter. Er sagt mir, um was es geht,
und nennt mir Zeit und Ort. Dann geht jeder in
seine Richtung davon.“
Am Nachmittag legt mir Serdj ein Phantombild
vor.
Erinnern Sie sich noch an den Wachhund mit den
gedopten
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