Commissaire-Llob 1 - Morituri
Brise, die verspielt durch
die nächtlichen Buchten streicht, wird mich nie
wieder in Träumereien wiegen. Nichts wird mir die
Lichtblicke der wenigen Momente des Vergessens
aufheitern, denn nach allem, was ich gesehen habe,
kann ich niemals wieder glücklich sein.
Während ich so meine düsteren Gedanken wälze,
kommt der Amtsdiener zurück und erinnert mich
an die Ungeduld des Chefs.
Behäbig wie ein Elefant, der sich seines bevor-
stehenden Todes bewußt ist, wuchte ich meinen
Hintern aus dem engen Stuhl, keuche die achtund-
sechzig Stufen der Stiege bis in den dritten Stock
hinauf – der Lift ist ausschließlich für den persön-
lichen Gebrauch des Chefs bestimmt – und bringe
ganz nebenbei wieder mein Rheuma auf Trab.
Der Chef macht sich hinter seinem Schreibtisch
breit. In all dem Luxus sieht er wie ein Denkmal
aus. Doch bei genauerer Betrachtung ist er nur eine
Schießbudenfigur, die im falschen Zirkuszelt sitzt.
Er ignoriert meinen ordnungsgemäßen Gruß und
schiebt wortlos ein Stück Papier in meine Rich-
tung. „Ich habe keine Zeit, mich drum zu küm-
mern“, verkündet er mir und vertieft sich wieder
ins Feilen seiner Fingernägel.
„Was ist es denn?“
„Der Schwiegersohn von Herrn Ghoul Malek …“
„Der Ex-Star der Republik …? Hat man ihn um-
gebracht?“
Empört fährt er auf: „Er feiert die Einweihung
seines neuen Wohnsitzes.“
„Und dafür wendet er sich an die Kripo?“
„Das ist eine Einladung. Ich kann nicht hingehen.
Ich bin verhindert.“
Weil ich immer noch nicht verstehe, redet er
Klartext: „Du sollst mich da vertreten.“
„Ich habe auch jede Menge Arbeit“, protestiere
ich, während mir bei dem Gedanken daran speiübel
wird, mich bei diesem mondänen, meineidigen
Schuft einzuschmeicheln, den ich wie selten je-
manden verachte.
„Das ist ein Befehl!“ Daraufhin dreht er samt
Sessel ab und präsentiert mir einen Rücken von der
Breite der Berliner Mauer. So stell ich sie mir je-
denfalls vor, in der Hoffnung, auch ihn eines Tages
stürzen zu sehen, obwohl ich ja überzeugt bin, daß
Wunder nur etwas für fromme Christen sind.
2
Ich stöbere eine Stunde lang in meinem Kleider-
fundus und kann schließlich doch nur eine clow-
neske Krawatte finden, die noch aus der Zeit vor
der Verstaatlichung der Kohlenwasserstoffwerke
stammt.
Mina betrachtet mich im Spiegel. Von Zeit zu
Zeit streicht sie eine rebellische Locke in meiner
Mähne glatt, schnippt mit dem Finger ein Staub-
korn von meiner Weste, sie ist so sanft, so auf-
merksam, viel zu verliebt, um in mir den losgelas-
senen Bauerntölpel zu sehen, den ich aber trotzdem
ziemlich glaubwürdig verkörpere.
„Macht dich jünger“, meint sie.
Möglich: der Anzug stammt noch aus der Zeit,
als sich die Revolutionen, die die Regierung mit
der Geschicklichkeit eines Taschenspielers für uns
aus dem Ärmel schüttelte, gegenseitig das Feld
streitig machten. Damals machte der billige Ter-
galstoff einen zum angepaßten Sozialisten, und die
Demagogen schätzten ihn, selbst wenn ihr eigener
glänzender Alpakastoff fast schon an Ketzerei
grenzte.
Ich steige in meine Rostlaube und brause nach
Hydra, dem schicksten Viertel von Algier. In die-
sen wechselvollen Zeiten erinnert es an eine verbo-
tene Stadt. Kein Fundamentalistenbart hat hier je
auch nur eine Mimose gestreift, kein Pulverdampf
je die Süße seines Glückes getrübt. Die Krösusse
des Landes verleben hier mit vollem Wanst und
ewig habgierigem Blick ihre Pension.
Algeriens Kriege zeichnet jene unergründliche
Besonderheit aus, daß sich die Krieger immer darin
täuschen, wer ihre eigentlichen Feinde sind.
Nach seinem Gehaltszettel – angeblich ist er
Funktionär – zu schließen, hat der Schwiegersohn
von Herrn Ghoul Malek gerade so viel, um sich
von Brötchen ernähren und sich ein Dutzend Un-
terhosen pro Fünfjahresplan kaufen zu können.
Trotzdem steht seine neue Bleibe dem Club Med in
nichts nach: über dreihundert Quadratmeter, mit
Lampions, Girlanden und Ballons bestückt, die so
groß sind wie die der Brüder Montgolfier. Es gibt
sogar einen Parkplatz, speziell für diesen Anlaß
eingerichtet. Funkelnde Luxuskarossen, soweit das
Auge reicht. Ich parke meinen alten Zastava zwi-
schen zwei Mercedes. Als ich aussteige, habe ich
das Gefühl, daß meine Blechkiste geschrumpft ist.
Zwei Riesen tauchen auf, um sich zu vergewis-
sern, daß ich nicht aus Lesotho komme. Sie
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