Commissaire-Llob 1 - Morituri
Problem, Llob, ist die Stagnati-
on. Du bist die gleiche Vogelscheuche geblieben,
die du vor dreißig Jahren warst. Wirklich jammer-
schade. Wann wirst du lernen, über deine Nasen-
spitze hinauszuschauen?“
„Meine Nase ist leider zu lang.“
Er schüttelt den Kopf, verzieht den Mund und
grunzt: „Du weißt ja gar nicht, was für eine Jam-
mergestalt du abgibst, Alter. Eines Tages wirst du
dich nicht mehr trauen, deinem Spiegelbild gege-
nüberzutreten. Man spuckt auf keinen vorbeifah-
renden Zug. Dabei bekommt man nur seine eigene
Spucke ins Gesicht.“
Er verschwindet.
Eine Art Gräfin bemerkt mich und deutet mir nä-
herzukommen. Ich sehe mich um, ob nicht noch
jemand da ist. Die Gräfin verneint mit der Nasen-
spitze und zeigt energisch mit dem Finger auf
mich. Dann brandet sie mit ihrem Pottwalleib auf
mich zu und streckt mir ihre Flosse entgegen.
„Oh!“ frohlockt sie und wiegt sich schlangen-
gleich in den Hüften, „Kommissar Llob, endlich,
Sie hier vor mir, in Fleisch und Blut. Ich wollte Sie
schon so lange kennenlernen! Wissen Sie eigent-
lich, daß Sie mein Lieblingsschriftsteller sind?“
„Das ist mir neu.“
„Doch, doch. Sie sind der Beste. Sie haben un-
glaublich viel Talent.“
„Das kommt daher, daß ich nicht genug Geld ha-
be …“
„Das stimmt nicht. Das hat damit gar nichts zu
tun.“ Sie tritt zurück, um mich in Augenschein
nehmen zu können. „Was machen Sie denn für ein
Gesicht!“
„Dazu müßte ich erst eines haben.“
Laut lachend wirft sie den Kopf ins Genick, so
weit, daß man fast das Muster ihres Slips erkennen
kann, dann nimmt sie mich, gerührt über mein
frustriertes Neidhammelgesicht, beim Arm und
drückt mich heftig gegen ihren Busen:
„Hören Sie, Kommissar. Ich plane, einen Gala-
Abend bei mir zu geben, um eine Hilfsorganisation
zu gründen. Ich würde mich sehr freuen, Sie unter
meinen Freunden begrüßen zu können.“
„Das ist sehr freundlich von Ihnen, Madame …“
„Lankabout, Fatima Lankabout, die Gattin von
Sid. Freunde nennen mich Fa, wie die Kosmetik-
marke. Noch etwas, Kommissar. Bitte verzeihen
Sie vielmals meine Indiskretion – wir Frauen sind
nun einmal so –, aber ganz ehrlich, sind Sie Auto-
didakt?“
„Nur autochthon.“
Sie verschlingt mich mit den Augen. Kein Zwei-
fel, sie ist fasziniert von mir. Aber eher würde ich
ein Mausoleum schänden, als ihr den versteckten
Teil meines Eisberges zu zeigen. Ich schenke ihr
ein keusches Lächeln und beeile mich, zwischen all
den hohen Tieren unterzutauchen.
Der Schwiegersohn von Ghoul Malek überfällt
mich mit der Gefräßigkeit eines Ameisenlöwen.
„Du bist also doch gekommen!“ jauchzt er. „Dein
Chef war skeptisch, aber ich war mir sicher, daß du
auftauchen würdest. Du hast vielleicht deine Prin-
zipien, aber deine Neugier kannst du nicht im
Zaume halten.“
„Berufskrankheit.“
„Nun“, meint er, während er mir sein Reich zeigt,
„wie findest du es? Gefällt dir mein Ghetto?“
„Nur keine falsche Bescheidenheit. Im Land der
Straffreiheit wird von den Haien erwartet, daß sie
den Rachen doppelt voll nehmen.“
Er lacht, packt mich am Ellenbogen und zieht
mich hinter sich her. „Komm, ich stelle dich ein
paar Freunden vor. Könnte sein, daß unter ihnen
jemand ist, der dir deine Kleider kostenlos reinigt.“
Ich habe kaum Zeit, meinen Schlips zurechtzurü-
cken, schon führt er mich wie eine surrealistische
Trophäe einer Bande von korrupten Beamten vor,
die ihre Körperfülle unglaublich stolz zur Schau
tragen.
„Messieurs, ich habe die Ehre, Ihnen den genials-
ten Polizisten des Landes vorzustellen.“
Kaum daß sie mir einen Blick schenken, diese
Neo-Beys von Algier. Mein ehrwürdiger Vater
sagte immer, es gebe keinen schlimmeren Tyran-
nen als einen zum Sultan aufgestiegenen Eselsfüh-
rer. Gestern Hirten, heute Würdenträger, haben die
Honoratioren meines Landes unglaubliche Reich-
tümer angehäuft, aber sie werden es niemals schaf-
fen, Volk und Viehbestand auseinanderzuhalten.
Der Größte von ihnen dreht sich um und murrt:
„Ist das dein Held?“
Der Stämmigste schneidet eine verächtliche Gri-
masse und fragt mich: „Wie schaffen Sie es, über
einer so abscheulichen Krawatte noch Ihr Lächeln
zu bewahren, Kommissar?“
„Dazu brauche ich nur Sie anzuschauen.“
Ihre Hoheit ist nicht erfreut. „Vorsicht, Sie spre-
chen mit einem Abgeordneten!“ warnt er mich.
Ich
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