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Commissaire-Llob 1 - Morituri

Commissaire-Llob 1 - Morituri

Titel: Commissaire-Llob 1 - Morituri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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stützt sich auf einen Ellenbogen, wirft mir ei-
    nen ratlosen Blick zu: „Ich mache mir Sorgen um
    dich.“
    „Du machst dir zu Recht Sorgen. Ich habe keine
    Lebensversicherung.“
    Ich weiß, daß ich gemein bin. Ich kann nichts da-
    für. Ich weiß, daß ich jeden Tag meine Haut riskie-
    re, und das kotzt mich an.

    * * *

    Lino fängt mich an der Tür zum Kommissariat ab.
    Sein rechtes Brillenglas ist von einem Spinnennetz
    überzogen.
    „Ich bin draufgestiegen“, vertraut er mir an, um
    mein Mitleid zu erregen.
    „Was nur beweist, daß du noch aufrecht stehen
    kannst.“
    Er zeigt mit einem vom Streß abgekauten Finger
    auf das Empfangszimmer: „Aït Méziane wartet seit
    einer Stunde auf dich.“
    „Der große Komiker?“ freue ich mich.
    Der Aït Méziane, der da im Empfangszimmer vor
    Ungeduld fast vergeht, hat nichts mehr von dem
    Possenreißer an sich, der auf der Bühne alle Blicke
    fesselt. Vor mir steht eine Jammergestalt, so aufge-
    löst wie ihr eigener Schatten, mit einer Miene düs-
    ter wie die Nacht.
    Er betrachtet seine Schuhspitzen, die Finger un-
    auflösbar ineinander verkrampft.
    „Was hat dich denn in diesen Zustand versetzt?“
    frage ich, um seine Anspannung zu lösen.
    Er reicht mir wortlos einen Umschlag.
    Es ist ein Drohbrief, unterschrieben mit „Abou
    Kalybse“. Er warnt den Künstler, sich ja nicht in
    der Nähe des Theaters herumzutreiben oder sich
    noch länger mit den intellektuellen „Handlangern
    des Satans“ zu treffen, und fordert ihn auf, dem
    Mufti als kleine Unterstützung die bescheidene
    Summe von einhunderttausend Dinaren zu über-
    weisen.
    Ich setze mich ihm gegenüber hin und versuch’s
    mit einem hilflosen Einwand: „Das ist sicher so ein
    Spaßvogel.“
    Méziane ringt sich ein erbärmliches Lächeln ab:
    „Findest du, daß man sich bei uns gut amüsiert?“
    Ich weiß nicht, was ich tun soll. Leute in seiner
    Situation gibt es haufenweise. Am Anfang stellte
    man ihnen einen Geheimpolizisten zur Seite, um
    ihre Umgebung zu überwachen, doch mittlerweile,
    seit die Nachfrage immer größer und unsere Ver-
    luste immer empfindlicher wurden, versucht jeder
    selbst zurechtzukommen und sich nur noch auf den
    Segen seines Stammesältesten und die Ungeschick-
    lichkeit der Henker zu verlassen.
    „Du kennst mich, Llob. Wir sind zusammen auf-
    gewachsen, haben uns den Hosenboden auf den-
    selben Gehsteigen abgewetzt. Ich bin keiner von
    denen, die beim ersten Floh, den man ihnen ins
    Ohr setzt, die Alarmglocken läuten hören. Aber
    diesmal fürchte ich, daß mir mein Lächeln bald im
    wahrsten Sinne des Wortes im Hals steckenbleibt.“
    Ich nicke, unfähig, ein aufmunterndes Wort zu
    finden.
    „Ich mache keine Politik. Ich halte keine Polemi-
    ken. Das einzige, wofür ich kämpfe, ist das La-
    chen, Llob. Ich will doch nur die Leute unterhalten,
    sie entspannen …“
    „Jetzt such nur nicht nach irgendeiner Schuld bei
    dir, Aït. Die haben doch ganz andere Motive.“
    „Was soll ich jetzt tun?“ fragt er unruhig. „Koffer
    packen? Beten?“
    „Vor allem nicht panisch werden. Es gibt sicher
    irgendeinen Ausweg. Du hast doch Freunde in O-
    ran oder auch in Constantine. Tauch eine Zeitlang
    unter, und wir warten ab, bis der Sturm vorüber
    ist.“
    „Sie werden mich finden … und töten.“
    „Dann geh nach …“
    „Nein!“ ruft er, „verlange nicht, daß ich nach Eu-
    ropa ins Exil gehe. Die Leute am anderen Ufer sind
    zwar nett, aber ich kann keine zwanzig Kilometer
    entfernt von meinem Wohnblock leben … Was tue
    ich hier überhaupt, du hast selbst schon genug um
    die Ohren!“
    Er erhebt sich. Es ist, als ginge ein Vorhang auf
    über den Brettern, die den Pranger bedeuten. Und
    die Kulissen seiner gequälten Seele liegen ab-
    grundtief dunkel vor mir.
    Ich schäme mich, ihn so gehen zu lassen, ent-
    täuscht und verloren wie die Hoffnung, die ver-
    pufft, wenn das Gewissen zu Stein wird.

    Als Ghoul Malek mich zu sich in die Rue des Py-
    ramides 13 bestellte, war ich kurz davor, mich in
    meinem Glas zu ersäufen.
    Als einflußreiches Mitglied der ehemaligen No-
    menklatura war Malek zu Zeiten der Einheitspartei
    ein besonders gefürchteter Big Brother. Wenn er
    im Fernsehen auftrat, fehlte nicht viel und man
    hätte sich hinter dem Vorhang versteckt. Zu seinen
    Vorrechten zählte es, mit „räudigen Schafen“ kur-
    zen Prozeß zu machen, im Handumdrehen Gesetze
    zu ändern und Frauen sowie Sozialprojekte abtrei-
    ben zu lassen: mit einem

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