Commissaire-Llob 1 - Morituri
gebe Lino einen Lagebericht: »Zwei arme Teufel werden in wenigen Minuten draufgehen, wenn wir sie nicht sofort da herausholen. Ein Vater und sein Sohn. Chater sagt, daß die drei Terroristen bis oben mit Barbituraten zugeknallt sind. Wir können sie also überrumpeln.«
»Ich bin bereit, Chef!« stößt er hervor und schwingt seine »9 mm«.
»Schick ein Stoßgebet zum Himmel und bleib dicht hinter mir.«
Ich atme tief durch und renne auf die Baustelle. Rund um mich peitschen die Salven der Kalaschnikows den Sand auf. Ich hechte mich zu Boden und robbe auf einen Container zu. Mit bleichem Gesicht folgt Lino mir nach. Um das Gesicht zu wahren, reckt er pathetisch seinen Daumen in die Höhe.
»Ist nicht der richtige Zeitpunkt zum Autostoppen«, knurre ich.
Ein Schuß löst sich vom Dach. Irgend jemand brüllt im Inneren der Villa. Eine grotesk gestikulierende Gestalt taucht auf, mit weggerissenem Unterkiefer. Sie bricht auf der Stiege zusammen und wird steif.
»Hierher!« rufe ich der Geisel zu, die an die Tür kommt. Es ist der Junge. Aber er hört nicht auf mich, sondern bleibt reglos auf der Rampe stehen, als hätte der Anblick des Toten ihn versteinert.
Lino nützt einen Schußwechsel, um hinzuspringen, den Buben am Arm zu packen und ihn in den Schutz des Containers zu ziehen.
Jetzt verlieren die Terroristen die Nerven. Das Mädchen kommt aus der Deckung und feuert auf uns los. Die Windschutzscheiben splittern. Die Polizisten drängen sich eng in ihrer unsicheren Deckung zusammen. Chater schießt. Das Mädchen läßt ihre Nähmaschine fallen, scheint nicht zu begreifen, wie ihr geschieht. Zwischen ihren Brauen blüht mit einem Mal eine Knospe auf. Sie versucht, sich an einem Balken festzuhalten, stürzt ins Leere. Ihr Körper prallt noch einmal vom Betonmischer ab, bevor er in einer schamlosen Stellung liegenbleibt.
Genau diesen Moment wählen Lino und ich, um zum Angriff überzugehen. Wir dringen in den Hausflur vor. Das Erdgeschoß scheint leer zu sein. Ich gehe in den ersten Stock, die Waffe im Anschlag. Lino folgt in geringem Abstand mit gebeugten Knien und derart geducktem Hinterteil, daß er an ein Affenweibchen beim Urinieren erinnert.
Der letzte Terrorist wütet im ersten Stock.
Vorsichtig erklimme ich die Stufen, meinen Rücken immer gegen die Wand gedrückt. Draußen tun Serdj und seine Leute ihr Bestes, um den Terroristen abzulenken. Endlich kann ich ihn sehen. Ein richtiger Schrank, genau die Art von Ziel, für die ich schwärme. Er benutzt den Maurer als Schutzschild.
Lino versucht mir noch einen praktischen Trick zuzuflüstern. Ich halte meine Knarre an die Lippen, er legt sich flach hin.
Die Männer von Chater nehmen das Gebäude weiter unter Beschuß. Der Terrorist antwortet wild entschlossen Salve um Salve. Er hört nicht, wie ich mich hinter ihm aufrichte. Als ihm bewußt wird, daß die Sache gelaufen ist, zerplatzt sein Schädel schon wie ein riesiges Furunkel.
Baya hat schon wieder ihren Ohrring verloren. Sie sucht ihn auf allen vieren kriechend unterm Schreibtisch, wobei sie ihr Hinterteil übertrieben in die Höhe streckt. Lino spielt den Entspannten, aber in seiner Kehle hüpft ein Jojo auf und ab, während er mit einem Auge in die Zeitung, mit dem anderen auf den bewegten Hintern schielt.
In dieser mitreißenden Choreographie überrasche ich die beiden. Ich herrsche ihn an: »Wenn du sie weiter so mit den Augen verschlingst, wirst du noch mal Bauchschmerzen bekommen.«
Baya steht verwirrt auf, richtet ihren Rock und verschwindet schnell wie der Blitz.
Lino spielt den Unschuldigen und raschelt mit seiner Zeitung: »Sie haben den Dichter Jamal Armad umgebracht.«
»Ich weiß.«
»Verdammt! Er war noch keine fünfundzwanzig.«
Ich hänge meinen Mantel an den Nagel, wo er mir wie eine Fahne auf Halbmast vorkommt, und lege ihn schließlich über die Rückenlehne meines Stuhles.
»Was für ein Elend! Warum zum Teufel ist man so hinter den Intellektuellen her, Kommy?«
»Das ist nicht erst seit heute so. Eine uralte Geschichte. In unserer traditionellen Unkultur war der Gebildete schon immer der Andere, der Fremde oder gar der Besatzer. Und diese Verschiedenheit hat in uns einen hartnäckigen Groll genährt. Wir sind abgrundtief allergisch gegen alles Intellektuelle geworden. Einen Fehler sieht man jemandem schon einmal nach, seine Andersartigkeit jedoch nie.«
Lino schiebt seine Brille nach oben und protestiert: »Unkultur? Warum sagst du Unkultur?«
»Das kommt von
Weitere Kostenlose Bücher