Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß
sich allein gestellt. Die junge Generation weigert sich, Kopf und Arme hängen zu lassen, und versucht, zumindest mit den letzten Sicherheiten, die ihr bleiben, zurechtzukommen. Es kommt für sie nicht in Frage, sich geschlagen zu geben. Sie liegt auf der Lauer nach dem geringsten Hoffnungsschimmer, um sich daran aufzurichten, denn sie weiß, daß sie auch in einem sehr eingeschränkten Lebensraum fähig ist, die Heimat und die konfiszierten Ideale zurückzuerobern. Hoffnung ist weder ein Traum noch eine schillernde Perspektive. Sie ist vielmehr ein Programm. Für mich ist sie zwangsläufig das Zusammenwirken von drei grundlegenden Elementen: einem ambitionierten Ziel, den Fähigkeiten, derer es bedarf, um dieses Ziel zu erreichen, und einer unbeugsamen Motivation. Abgesehen von diesen drei nicht zu trennenden Kriterien ist der Rest nichts als Utopie. Unsere Jugend wartet brennend darauf, endlich über dieses Dreigespann zu verfügen, um darauf ihre Zukunft zu errichten. Bis heute haben die Taugenichtse, die das Land regieren, es ihr versagt. Mit Präsident Bouteflika hoffen wir alle, die unglücklichen Umstände zu bezwingen und wieder vollwertige - fleißige, tolerante und freie - Staatsbürger zu werden. In deinen Romanen nimmt der Schriftsteller, d.h. derjenige, der lesen und schreiben kann, eine besondere Rolle ein. Ich denke an Kommissar Llob, der nicht nur Kriminalbeamter, sondern auch ein angesehener Autor ist, an Dactylo in Les Agneaux du Seigneur und an Sid Ali in A quoi revent les loups. Welche Rolle und Aufgabe hat deiner Meinung nach der Schriftsteller im gegenwärtigen Konflikt? Ich sehe die Rolle des Schriftstellers darin, sich immer angemessen zu verhalten, seinen scharfen Verstand einzusetzen und es zu vermeiden, seinen Bekanntheitsgrad über das Unglück der Seinen zu stellen. Seine Aufgabe ist es, das Gewissen wachzurütteln, auf der Hut zu sein, denn er ist der wahre Hüter des Tempels.
Und welche Rolle kommt der Literatur zu? Kann sie deiner Einschätzung nach etwas verändern?
Das hängt vom politischen System ab. In jenen Ländern, in denen völlige Willkür herrscht, haben die Schriftsteller kein Wort mitzureden. Ihr »Martyrium« könnte jedoch den Widerstandsgeist bestimmter sozialer Randgruppen stärken. Wenn man die herrschende Klasse stört, zwingt man sie, sich Fragen zu stellen - falls sie dazu überhaupt in der Lage ist - und ihre Straffreiheit nicht ruhigen Gewissens zu mißbrauchen. In zivilisierten Ländern genießt die Literatur Souveränität. Sie ist stets wachsam, ermahnt die Entscheidungsträger, versteht sich als ein Medium, das die Grenzen der Erfahrung zu überschreiten vermag, und sieht sich als das beflissene Gewissen einer Nation, als das Licht, das den kommenden Generationen den Weg leuchtet, ist Ausdruck der Begabung eines Volkes. Stellen wir uns nur die 68er Jahre in Frankreich ohne Sartre, de Gaulle oder Malraux vor, Paris ohne seine Künstler, Deutschland ohne seine Dichter. Das wäre wie eine Herde ohne Hirte, eine Zeremonie ohne feierlichen Charakter, ein Subjekt ohne Verb. Literatur ist eine Sublimierung. Sie erhebt einfache Leute in den Rang von Menschen, macht aus ihnen verantwortungsbewußte und aufgeklärte Personen, die Sicherheit geben. Ein Land ohne Kultur ist wie ein ungenütztes Gelände, das nach und nach zur Schutthalde wird und allem möglichen Ungetier ausgesetzt ist. Es gibt kein größeres Unheil als ein Leben ohne Poesie, kein schlimmeres Schicksal als jenes beschränkter Menschen. Ich glaube an den Schriftsteller, wie ich an die Propheten glaube, zwar wurde ihm keine Offenbarung zuteil, aber das, was er den Menschen weitergibt, ist nahezu so wunderbar wie eine kosmische Eingebung.
Du lebst nach wie vor in Algerien, und auch in deinem nächsten Umfeld wissen nur wenige, daß du Schriftsteller bist. Wie muß man sich die Umstände vorstellen, unter denen du schreibst?
Ich lebe ganz normal unter den Meinen, manchmal besser manchmal schlechter gelaunt, den plötzlichen Stimmungswechseln meiner Umgebung angepaßt. Ich schreibe in einem Umfeld, das in keinster Weise mit meiner literarischen Berufung vereinbar ist, unter Bedingungen, die über jeden Verdacht erhaben sind; deshalb auch mein Pseudonym, das an mir klebt wie ein zu enges Hemd.
Ist Schreiben für dich eine Art, bewußt zu agieren, oder ist es eine Reaktion?
Schreiben war für mich immer ein Kampf. Jedes Buch, das ich vollendet habe, ist ein Sieg über die Mittelmäßigkeit und die
Weitere Kostenlose Bücher