Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß
offenen Kampf ohne das geringste Zugeständnis entschieden. Es war zwar höchste Zeit, aber man mußte trotzdem kühlen Kopf bewahren. Wenn man angegriffen wird, schlägt man mit größtmöglicher Kraft zurück, um sich Respekt zu verschaffen und den Gegner in die Schranken zu weisen. Wer Kinder massakriert, hat kein Recht mehr auf Mitgefühl, auch nicht auf Nachsicht. Man muß zuerst die Täter unschädlich machen, erst dann kann man sich erlauben zu weinen, und niemand wird dies als Schwäche ansehen.
Kritiker bezeichnen deine Werke oft als »soziologische Studien« oder Analysen der kriegerischen Auseinandersetzungen in Algerien. Wie beurteilst du die aktuelle Lage und die Zukunft Algeriens, und wie erlebst du persönlich die Krise, die deine Heimat erschüttert?
Von Anfang an befand man sich auf dem Holzweg. Sowohl in Algerien selbst als auch im Ausland wurde die Algerienkrise falsch eingeschätzt, ja sogar wissentlich von ihr abgelenkt. Jeder steuerte seine vage Sicht der Dinge bei, was letztlich nur das Spiel derer begünstigte, die die Fäden in der Hand hielten und vom Krieg der Fundamentalisten profitierten. Für die große Mehrheit der Menschen war der Konflikt ein politisch-ideologisch motivierter. Man stellte die soziale Implosion als das biologische Ergebnis einer Identitätskrise dar, die seit langem gärte. Dazu sage ich ein klares Nein! Die Ursache des Problems liegt anderswo und hat nichts mit diesen verfänglichen Hypothesen zu tun. Es handelt sich vielmehr um die Machenschaften einer Mafia, um regelrechte Plünderungen und um ein staatliches Verbrechertum. Meine Kriminalromane habe ich geschrieben, um die Dinge wieder ins rechte Licht zu rücken, den verborgenen Teil des Eisbergs an die Oberfläche zu bringen. Morituri war eine ungeheure Ohrfeige. Der Roman hat das Gewissen der Menschen wachgerüttelt und ihnen die Augen geöffnet für die andere Wahrheit des Krieges, die die Schlächter der Finsternis stillschweigend zu übergehen versuchten. Das Echo auf meine Bücher in den Medien war weitgehend positiv, sowohl in Europa als auch in meiner Heimat. Die Heftigkeit meiner Texte ist weder zufällig noch unbegründet; sie spiegelt jene Härte wider, mit der ich mich gegen den Betrug auflehne, und sie steht für die Unbändigkeit meines Schmerzes und meiner Empörung. Ich habe die Barbarei aus nächster Nähe erlebt und Grausamkeiten gesehen, die mein Leben erschütterten; beinahe hätte es mein Vertrauen in die Menschheit zerstört. Was sich in meinem Land abspielt, ist widerlich. Nacht für Nacht werden ganze Familien in einer betäubenden Stille regelrecht abgeschlachtet. Die Regierung versucht, einen wahrhaften Alptraum herunterzuspielen; das ist beschämend und empörend. Demagogie war noch nie ein adäquates Mittel, und im Übermaß kann sie nur einen nicht wiedergutzumachenden Schaden anrichten. Die Habsucht der einen und die Feigheit der anderen übersteigen jegliches Verständnis, und über kurz oder lang wird keine Verständigung mehr möglich sein.
Was erwartest Du von Europa beziehungsweise dem Westen angesichts der Krise in Algerien?
Wir erwarten uns nichts mehr von Europa und noch weniger von den uns nahestehenden arabischen Nationen. Wir haben sehr rasch verstanden, daß wir alleine sind - Geiseln einer diabolischen Machenschaft - und daß wir uns zu unserer Verteidigung nur auf die rudimentären Mittel stützen können, über die wir selbst verfügen. Auch den Glauben an internationale Absprachen und Solidaritätsbekundungen haben wir verloren. Gleichzeitig amüsieren sich unsere Verantwortlichen königlich über unser Elend und bemühen sich, das Land zu verschleudern, kaum kehrt man ihnen den Rücken. Wenn wir nicht einmal mehr von unseren Regierenden etwas erwarten, was können wir dann vom Ausland erhoffen? Das algerische Volk ist abgehärtet, sein Widerstand und seine Würde sind seine alleinigen Verbündeten. Wir haben gelernt, unsere Wunden in aller Stille und Zurückhaltung zu lecken, und wir können aus dieser qualvollen Lage nur gestärkt hervorgehen. Die Beschreibungen der algerischen Jugendlichen, die du in deinen Romanen gibst, sind auffallend trostlos und pessimistisch. Die junge Generation symbolisiert jedoch die Zukunft eines jeden Landes. Ist die algerische Jugend deiner Meinung nach kein Hoffnungsträger für Algerien? Die algerische Jugend wurde verführt und dann im Stich gelassen; in einer Gesellschaft, die unaufhaltsam auseinanderbricht, ist sie völlig auf
Weitere Kostenlose Bücher