Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß
den Zäh-
nen hat.“
Mina fand meine Metapher nicht zum Lachen.
Sie haßt vulgäre Anspielungen.
Das Haus Nummer 14 an der Place de la Charité ist
ein prachtvolles architektonisches Schmuckstück
im Herzen eines futuristischen Square. Die Fuhr-
leute mit ihren Karren oder die Bäuerchen vom
Lande wagen sich nie bis dorthin aus Angst, vorher
von der Polizei abgefangen zu werden. Üppige
Gärten auf der einen Seite, Parkplätze voll fetter
Limousinen auf der anderen. Neidhammeln von
meiner Sorte kann es da leicht passieren, daß der
Schlag sie trifft.
Selbst der Hausmeister ist perfekt gestylt. Ehrer-
bietig und kriecherisch. An dicke Trinkgelder ge-
wöhnt, wie er ist, brächte er es fertig, um drei Uhr nachts einen Sterbenden, der am Tropf hängt, auf-zuschrecken, nur um ihn mit seinem Lächeln zu
beglücken.
„Kann ich Ihnen helfen, Monsieur?“ erbietet er
sich mit jener heuchlerischen Galanterie, die unter den Gebildeten als Höflichkeit gilt.
„Wenn Sie nichts Besseres zu tun haben … mein
Auto bekommt Muffensausen, sobald es alleine ist.
Wenn Sie so nett wären, ihm den Griff zu halten,
bis ich wiederkomme.“
Er willigt ein, ohne mit der Wimper zu zucken.
9
Mit achtundfünfzig hat sich Ben Oudas Umfang
verdreifacht. Die ganzen Liftings haben es nicht
geschafft, seine Doppelkinne und Hängebacken zu
straffen, und seine Wampe ergießt sich hemmungs-
los über seine Knie. Ich schätze, daß er zur Unter-
stützung seiner Hosenträger einen ziemlichen Kon-
sum an Stoßdämpfern hat.
Er empfängt mich in seinem nicht gerade armse-
ligen Pensionärs-Salon. Ohne Pauken und Trompe-
ten, ganz so, wie man gute Freunde empfängt.
„Ein Glas Orangenlimonade, Monsieur Llob?“
„Ich bin im Dienst.“
Er bietet mir einen Sessel an und breitet sich
selbst auf dem Sofa gegenüber aus. Sein Hausman-
tel schimmert. Einen Augenblick lang gerate ich
ins Träumen angesichts seiner Fettleibigkeit, ich
frage mich, ob die Natur nicht allen Ernstes ein
klein wenig dazu neigt, sich über die Menschen
lustig zu machen.
„Ich hoffe, ich habe Ihre kostbare Zeit nicht ü-
berbeansprucht, Kommissar. Jedermann weiß, wie
sehr Sie von diesem Krieg, der keine Vernunft an-
nehmen will, gebeutelt sind.“
„Halb so wild.“
Er zieht die Brauen hoch und legt den Kopf
schief, um mich aus einem anderen Blickwinkel zu
betrachten. „Sind wir uns nicht schon einmal über
den Weg gelaufen?“
Seine Gedächtnislücke überrascht mich. Aber die
Art von Amnesie ist bei uns gang und gäbe. Es
scheint, daß einem davon Flügel wachsen.
„Ich glaube kaum“, erwidere ich von oben herab.
„Aber Ihre Züge …“
10
„Ich verkörpere den kabylischen Durchschnitts-
typ. Es kommt öfter vor, daß man mich für jemand
anderen hält.“
Er läßt das Thema auf sich beruhen. Seine spe-
ckige Hand umfaßt behutsam ein Whiskyglas, führt
es an die Lippen.
„Meine Freunde sind des Lobes voll über Sie,
Monsieur Llob. Sie sagen vor allem, daß Sie ein
Mann sind, mit dem man rechnen kann.“
„Nicht so gut wie mit einem Taschenrechner.“
Er lacht. Ein Schüttelkrampf. Gerade so wie die
Götter. Er stellt sein Glas wieder ab, nimmt mich
voll ins Visier.
„Ihr letztes Buch hat mich betroffen gemacht. Ich
habe es zweimal gelesen.“
„Zu liebenswürdig von Ihnen.“
„Ich stimme Ihrer Analyse der Lage voll und
ganz zu, Monsieur Llob.“
Ich betrachte ein Gemälde von Dinet, das an der
Wand zwischen zwei Damaszenerklingen hängt,
und begreife nicht, was ein Objekt, das zum natio-
nalen Kulturerbe zählt, in einer Privatwohnung
verloren hat.
Ben Ouda spült noch einen Schluck Whisky hin-
unter und schnalzt mit den Lippen. Als er die Beine ausstreckt, quillt sein Bauch unter seinem Mantel
hervor.
„Glauben Sie ans Schicksal, Monsieur Llob?“
„Damit läßt sich so manches entschuldigen.“
Er wiegt gedankenverloren den Kopf. „Ich habe
oft das Gefühl, daß mir etwas Besonderes vorher-
bestimmt ist, Sie nicht?“
Mit der Hand unterdrücke ich ein Gähnen.
11
Er fügt hinzu: „Seit Jahren schon verfolgt mich
eine Idee, aber ich hatte bisher keine … keine richtige Motivation. Ich gehöre eher zu den Langsa-
men. Aber die Lage im Land wird immer unüber-
sichtlicher, und es drängt mich in letzter Zeit zu
reagieren. Doch leider kommen mir jedesmal,
wenn ich gerade aktiv werden will, meine Initiati-
ven plötzlich unüberlegt, ungeeignet und
Weitere Kostenlose Bücher