Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß
wobei er die Panzertür nicht
aus den Augen läßt.
Der Boß kommt zu mir ins Nebenzimmer, um
den Verdächtigen durch den Spiegelspion zu beo-
bachten. Er gesteht mir, daß das Telefon in seinem
Büro pausenlos schrillt. Kaaks Freunde seien zu-
tiefst beunruhigt. Ich empfehle ihm, ihnen zu sa-
gen, daß ihr Schützling vermutlich von Terroristen
entführt worden ist und man seine Leiche mit ein
wenig Glück schon am folgenden Morgen in ir-
gendeinem Treppenhaus entdecken wird. Der Boß
hält meinen Zynismus für höchst morbide und er-
innert mich daran, daß meine Methode in keiner
Weise den Vorschriften entspricht. Ich entgegne
ihm, daß ich weiter nichts tue, als mich den aktuellen Gepflogenheiten anzupassen. Er lächelt und
verspricht mir, schützend die Hand über mich zu
halten, falls es einem Ziegel gelingen sollte, vom
Dach zu fallen. Ich beruhige ihn mit der Erklärung, daß eine kleine Gehirnerschütterung vielleicht
nicht schaden könnte, um meine Gedanken in
Schwung zu bringen.
Gegen Mitternacht revoltiert der Knirps. Er hat
Krawatte und Jackett abgelegt, die Hemdsärmel
hochgekrempelt und fängt an, sich die Schuhsohlen
an der Tür abzuwetzen.
Um zwei Uhr früh gibt er auf, sinkt über dem
Tisch zusammen und döst ein.
„Keine Müdigkeit vorgeschützt da drinnen!“ quä-
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le ich ihn. „Der einstweilige Gewahrsam ist kein
Kuraufenthalt.“
Kaak mobilisiert seine letzten Kräfte, um nicht
loszuplärren. Er ist am Ende, seine Züge sind völ-
lig erschlafft, seine Haare wild zerwühlt. Seine
Augäpfel sind halb nach oben verdreht und streifen
mich mit mildem Medusenblick. Er fährt sich mit
der Hand übers Gesicht, zerrauft sich weiter die
Mähne und sieht mich lange stumm an.
„Ich werde diese Angelegenheit auf höchster E-
bene zur Sprache bringen!“ keucht er schließlich
erschöpft.
„Ich stelle Ihnen gern meinen privaten Aufzug
zur Verfügung. Doch vorher packen Sie erst mal
aus. Wenn Sie meinen, Sie seien noch nicht reif
dafür, komme ich gerne später wieder. Ich hab’s
nicht eilig.“
Er hält mich mit einer entkräfteten Handbewe-
gung zurück. „Kommen wir zum Ende. Ich will
nach Hause.“
Ich lasse mich auf der Tischkante nieder, die ge-
ballten Fäuste auf die Knie gestützt.
„Ben war mein Freund“, fängt er nach langem
Nachdenken an. „Er war anders. Die übrigen, das
waren alles Betrüger oder Betrogene … Bei Ben
fühlte ich mich wohl. Das passierte mir nicht oft.
Hinter der Fassade meines Erfolgs war ich der ar-
me Teufel aus der Vorstadt geblieben: kläglich an
Herkunft, Verstand und Körperbau … Gewiß, ich
hab es durchaus zu etwas gebracht – aber erst Ben
fügte meinem Reichtum eine gewisse – nun, sagen
wir – Ethik hinzu. Es gefiel mir, einen geschätzten Literaten zum Freund zu haben, ich, der ich als
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Kinokassierer im Armeleuteviertel angefangen
hatte … Mit Ben war das Geld weiter nichts als
eben Geld. Es gab im Leben noch anderes, das
zählte. Ben war ein anderes Kaliber. Er hatte For-
mat. Er hatte Talent. Klar, manchmal machte er
mir auch Kummer, aber das hatte mit Mitleid
nichts zu tun. In einem Land, wo die Habgier alles
beherrscht, macht das Genie eine kümmerliche
Figur. Ich verstand ihn. Ich achtete ihn. Nie im
Leben hätte ich ihn verraten. Er war alles, was ich zu meinen Gunsten vorweisen konnte.“
Traurig betrachtet er seine Fingernägel. Sein
Kinn stößt mehrfach vor ins Leere wie bei einem,
der unerträgliche Erinnerungen ausgräbt.
„Er langweilte sich zu Tode. Er war voller Ideen
nach Algerien zurückgekehrt. Sein Diplomatenda-
sein hatte jede Menge Illusionen in ihm genährt. Er begriff nicht, warum man bei uns der Raubritter-mentalität mehr als dem Transzendentalen huldigte
… Ben war ein Idealist. Er sagte stets, schlimmer
als jeder Weltuntergang sei der Untergang der Kul-
tur. Er brachte seine Zeit damit zu, Dichterlesun-
gen, Ausstellungen, Begegnungen mit Intellektuel-
len zu organisieren, aber es war jedesmal dasselbe.
Keiner interessierte sich für seine Bemühungen,
alle machten sich über seinen Eifer lustig. Die we-
nigen Neugierigen, die zu ihm kamen, kamen nur,
um zu sehen, ob es nicht irgend etwas abzustauben
gab, und ließen sich dann nie mehr blicken. Um
nicht als Narr verschrien zu werden, begann er mit
der Zeit, es den anderen gleichzutun. Er versuchte
sich als Geschäftsmann. Das machte ihn aber auch
nicht glücklich. Einmal mehr
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