Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß
Direx außer sich. „Gaïd ist
uns endlich ins Netz gegangen, und ihr habt ihn
wieder entwischen lassen. Einfach so, komplett
idiotisch, ohne jeden Grund. Er hat uns alle miteinander ins Bockshorn gejagt. Jetzt tappen wir wie-
der im dunkeln. Da habt ihr wirklich fantastische
Arbeit geleistet. Ihr könnt stolz auf euch sein!“
Er fegt durchs Büro, wischt Aschenbecher vom
Tisch, zieht seinem Drehsessel die Ohren lang,
traktiert die Vorhänge … Ich sehe ihm zu, wie er
seine Nummer abzieht, und hoffe inständig, daß er
sich das Handgelenk an der Wand aufschürft oder
sich die Faust am Fensterglas verletzt. Seit einer
halben Stunde mühe ich mich ab, ihm klarzuma-
chen, daß meine Männer und ich nicht den gerings-
ten Anhaltspunkt hatten, um abschätzen zu können,
ob Gaïd bluffte oder nicht, der Direx weigert sich, mich anzuhören …
„Halt die Klappe! Du hast hier nichts zu sagen.
Wegen deiner Überstürztheit ist die Kripo vom
Rest der Welt isoliert. Der Geheimdienst wird uns
keine Konzessionen mehr machen. Der chef de
cabinet hat sofort wieder aufgelegt. (Er wirft mir eine Zeitung ins Gesicht.) Alle Zeitungen bringen
es auf der ersten Seite. Kein Mensch ist geneigt,
unsere Version zu glauben. Das ganze Land ist der
Meinung, die Polizei habe kaltblütig einen Kron-
zeugen umgelegt. Wer will Ben Ouda ein zweites
Mal begraben? (Er zeigt mir eine Schlagzeile, die sich über die halbe Seite hinzieht.) Wir hatten nicht das Recht, uns zu irren. Selbst wenn ihr mit ihm
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zusammen draufgegangen wärt, hätte euch noch
der Zweifel überlebt. Man verdächtigt uns der
Komplizenschaft, Monsieur Brahim Llob, man
denkt, wir wollen Spuren verwischen. Der einzige
Weg, uns von jedem Verdacht zu befreien, bestand
darin, diesen Hurensohn festzunehmen und ihn bis
zu seinem Prozeß am Leben zu erhalten. Man woll-
te ihn anhören. So war es ausgemacht. Ben war
nicht irgendwer. Es konnte nicht sein, daß irgend-
ein hergelaufener Komiker ihn aus einem x-
beliebigen Grund umgelegt hat. Erinnere dich an
das riesige Medientheater, das seine Ermordung
ausgelöst hat. Sie waren fix mit der Erklärung bei
der Hand. Dahinter steckt das System, hat es ge-
heißen. Und das System, das sind wir. Wir werden
beschuldigt, mit in der Scheiße zu stecken und die
Drecksarbeit für die anderen zu machen. Wie im-
mer.“
Abrupt dreht er sich um und stürzt auf mich zu.
Er bedrängt mich mit seinem keimfreien Atem und
reißt sich seinen sorgsam manikürierten Fingerna-
gel an meinem Ranzen auf:
„Ich hatte dich gewarnt, Llob. Diese Geschichte
ist hochexplosiv. Da mußte man mit Samtfingern
drangehen.“
„Davon geht die Welt auch nicht unter!“ entgeg-
ne ich erbost. „Die Ermittlungen laufen weiter. Ich werde sie mit oder ohne Gaïd abschließen.“
„Und wie wohl? Der Friseur war unser letzter
Trumpf. Alles steht und fällt mit dieser verfluchten Diskette, von der kein Mensch weiß, wo sie
steckt.“
„Das ist mein Problem. Jetzt liegt’s an mir, so
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viel Lärm wie möglich zu machen, um das Wild
aufzuscheuchen. Ich verlange freie Hand.“
„Tut mir leid, ich habe keine Hand mehr frei. Ich
habe alle Hände voll zu tun, den Scherbenhaufen,
den du hinterlassen hast, beiseitezukehren. Was du
jetzt anstellst, geht voll auf deine Kappe.“
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Abderrahmane Kaak fährt in mein Büro ein wie ein
Dschinn am Ende der Beschwörungsformel. Er
schäume vor Wut und wirkt fast lächerlich. Mit
hochrotem Kopf und weißem Gesabber im Mund-
winkel hievt er sich auf die Zehenspitzen und
knallt mir seine Papiere auf den Schreibtisch.
„Ich bin im Besitz eines Passes, eines Visums
und eines Flugtickets. Ich werde von niemandem
strafverfolgt. Ich stehe auch nicht unter Hausarrest.
Ich bewege mich im Rahmen der Legalität und bin
somit Herr meiner Bewegungen. Würden Sie mir
bitte erklären, warum Ihre Kollegen vom Flugha-
fen sich geweigert haben, mich mein Flugzeug
nach Lyon nehmen zu lassen?“
Er muß sich auf der Strecke vom Flughafen zur
Polizeizentrale seine Litanei unablässig vorgesagt
haben. Denn er rattert sie in einem Zug herunter,
ohne auch nur einmal Atem zu holen.
Ich breite zum Zeichen der Machtlosigkeit die
Arme aus. Das stachelt ihn noch mehr auf, und
seine knallroten Hängebäckchen beginnen zu vib-
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rieren. Er hißt sich noch eine Spur höher und fuch-
telt drohend mit seinem Monsterbabyfinger.
„Ich warne Sie, das wird weitreichende
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