Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß
Ihr eige-
ner Hund würde Sie heute verleugnen. Sie sind zu
weit gegangen. Und jetzt: Endstation, alle Mann
aussteigen!“
Er lehnt sich behäbig auf seinem Thron zurück
und faltet die Hände über seinem Menschenfres-
serbauch. Ein verächtliches Lächeln spielt um sei-
ne Lippen.
„Im Gegenteil: der Zug ist eben erst abgefahren,
Derrick, aber ohne Sie. Machen Sie endlich die
Augen auf, dann sehen Sie, Sie sind im falschen
Film, Ihre Methoden funktionieren nur in Europa.“
„Stimmt, wir leben in Algerien. Und Algerien,
Monsieur Faïd, ist wie Gold: je heftiger man sich
daran reibt, umso mehr beginnt es zu glänzen. Es
ist ein Land, wo noch richtige Männer leben.
Manchmal schläft vielleicht seine Wachsamkeit,
sein Stolz jedoch nie. Und je heftiger man es be-
drängt, umso stärker setzt es sich zur Wehr …“
„Das haben Sie wohl bei den Pfadfindern ge-
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lernt.“
Er widert mich an.
„Ich verhafte Sie, Monsieur Faïd. Gott allein
weiß, was das für mich heißt. Ich verhafte Sie we-
gen Mordes an Ben Ouda und Professor Abad. Ich
verhafte Sie wegen versuchtem Mord an der Per-
son eines Polizeikommissars in Ausübung seines
Dienstes. Ich verhafte Sie wegen Gefährdung der
Staatssicherheit. Kurz, ich verhafte Sie, damit das Leben wieder seinen normalen Gang gehen kann,
ohne durch Sie behindert zu werden.“
Seine fetten Flossen knallen auf den Schreibtisch
nieder. Er wirft den Kopf in den Nacken und wird
von einem dröhnenden Gelächter geschüttelt, das
seinen Schmerbauch bis hoch zur Kehle erbeben
läßt: Es ist das Lachen einer allmächtigen Hydra,
die nicht glauben will, daß es manchmal ganz
schnell abwärts geht. Plötzlich verstummt das Ge-
brüll, und sein Gesicht erstarrt zu einer gräßlichen Fratze. Seine Lippen verziehen sich zu einem kan-nibalischen Grinsen. Er streckt den Arm nach der
Fensterfront zu seiner Rechten aus.
„Da draußen gibt es nicht einen Winkel, in dem
man Dahmane Faïd nicht kennt. Mir gehört die
halbe Stadt. Mir verdanken die meisten ihren Le-
bensunterhalt!“ Er schlägt sich mit der Hand an die Brust. „Mir allein …! Ich allein habe diese Stadt zu dem gemacht, was sie heute ist.“
„Zu einer Arena.“
„Einer veritablen Kapitale, modern und ehrgei-
zig. Stein für Stein, Ziegel für Ziegel habe ich sie aufgebaut. Ich habe ihr meine besten Jahre ge-schenkt, mein ganzes Talent in ihren Dienst ge-
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stellt. In ihren Adern zirkuliert mein Geld, ihre
Gärten sind mit meinem Schweiß getränkt, und
wenn ihr Puls heftiger pocht als der einer Jungfrau in der Hochzeitsnacht, dann dank meiner Investiti-onen. Sehen Sie hin. Sehen Sie genau hin, und Sie
werden feststellen, daß sie nur für mich Augen hat, daß sie keinen Gott kennt außer mir. Uns verbindet
eine Leidenschaft, die keine Tabus kennt. Wir bei-
de denken mit einem Kopf … Diese Stadt ist mein
Eigentum. Ich habe es nie akzeptiert, ihre Schön-
heit welken zu sehen. Gott allein kennt die Zahl der dümmlichen Slogans, die ihr den Glanz nehmen
wollten, der ungehobelten Freier, die sie verführen, der Eselstreiber, die sie verschleudern wollten.
Aber ich habe immerzu nur nein gesagt, das
kommt gar nicht in Frage. Ich habe sie aus den
Fängen der Schmarotzer befreit und ihr die Freiheit zurückgegeben. Dank mir ist sie prächtiger denn je
anzusehen. Meine schöne Weiße ist weder eine
Odaliske noch eine Towaritsch* [* Odaliske = weiße Sklavin in einem türkischen Harem; Towaritsch (russ.) =
Genosse] . Sie ist eine stolze Sultanin. Sie braucht Prunk und Prachtentfaltung, rauschende Feste und
wilde Reiter, heißblütige Liebhaber und treu erge-
bene Höflinge. Sie verlangt, daß man sich hingibt
für sie, daß man wagt, daß man entweiht, daß man
für sie aufgeht, draufgeht, aufs Ganze geht. Es gibt nur diese Art, ihr zu dienen, es ist die einzige Art, sie zu verdienen … Sie ist ein Kunstwerk. Du ver-suchst dich Skizze um Skizze an ihr, und dann ist
sie es, die einen Meister aus dir macht, die deinem Talent zu höchster Entfaltung verhilft. Doch ach!
Solch lyrischer Überschwang ist Ihnen fremd, Der-
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rick. Was weiß ein armseliger Polyp schon vom
Hochgefühl, welches das Prestige auslöst? Was
weiß ein armer Teufel, dem schwindlig wird, wenn
er nur aufrecht steht, schon von Höhenluft? Was
wissen Sie schon davon, was es heißt, etwas aufzu-
bauen, was wissen Sie vom Ruhm, der Sie über-
lebt? Nichts. Nichts und nochmal nichts. Der
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