Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß
Seiten auf den Tank zu. Ich renne schnell zu
einem Erdhügel, um dahinter in Deckung zu gehen.
Die Wucht der Explosion schleudert mich ins Ge-
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sträuch.
In der Ferne gellen die Sirenen der Einsatzkom-
mandos. Auf der Straße herrscht wilder Tumult.
Ich höre Männer brüllen und Frauen schreien. Ein
Dutzend Fahrzeuge sind zusammengekracht. Über-
all rennen Leute herum.
Jetzt erst sehe ich das Blut auf meinem Hemd.
Ein Glassplitter hat mich am Handgelenk geritzt.
Weiß Gott die geringste meiner Sorgen. Ich bin
zufrieden mit mir: Es ist mir gelungen, das Wild
aufzuscheuchen.
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Es ist das Unglück wilder Horden, daß, sobald ei-
ner aus ihrer Mitte plötzlich Feuer unterm Hintern
hat, die ganze Horde in Panik ausbricht und sich
ihm an die Fersen heftet, bereit, ihm in den Ab-
grund zu folgen.
Am nächsten Tag bekomme ich einen Anruf von
Capitaine Berrah. Er erwarte mich im Haus Num-
mer 9 der Cité du Beau Plaisir, einem paradiesi-
schen Flecken, nur ein paar Kabellängen von Sidi
Fredj entfernt. Es ist eine Anschrift, die uns in einen verschwiegenen Winkel entführt, diskret hinter
einem Wäldchen versteckt. Die Villa, um die es
geht, liegt im Herzen einer Lichtung, kokett und
nett anzusehen mit ihrem blauen, kunstvoll behau-
enen Stein und ihren Efeuhäubchen. Ein vergolde-
tes schmiedeeisernes Gartentor führt in einen Hof
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mit alten Steinplatten, eingerahmt von grünen
Tuffs, die zurechtgestutzt sind wie die Schädel der Punks.
Ich parke den Wagen neben einem italienischen
Marmorbrunnen, den eine steinalte, unverkennbar
aus einem spanischen Fort geklaute Kanone be-
wacht. Der Capitaine begrüßt mich von der Veran-
da aus. Sein Kinn deutet auf einen Mercedes hin,
der zur Hälfte in einer Garage steckt.
„Ist er das?“
„Jedenfalls dasselbe Nummernschild.“
„An den Sitzen klebt Blut.“
Er bemerkt den Verband um mein Handgelenk.
„Hoffentlich nichts Schlimmes?“
„Ist nur um anzugeben.“
Er lacht schnaubend, und ich folge ihm ins Innere
des Palais. Über eine Treppe, die mit rotem Tep-
pichboden ausgelegt ist. Ein paar Geheimdienst-
agenten sind schweigend dabei, alles zu durchsu-
chen.
Der Bosco sitzt zusammengesackt in einem Di-
wan, mit eingefallenen Schultern und dem Kinn
auf der Brust. In seinem Nacken klafft ein Krater.
Aus dem aufgeplatzten Fleisch schaut ein zer-
trümmerter Wirbel hervor, und im Rücken verklebt
ein geronnener Blutstrom das Hemd. Neben seinen
Füßen liegt ein Glas am Boden; sein Inhalt hat sich über den Teppich ergossen und beim Verdunsten
eine gelbliche Spur hinterlassen.
„Er wurde abgemurkst, als er sich gerade einen
kleinen Ricard genehmigte“, sagt der Capitaine.
„Auf der Rückenlehne des Diwans sind Pulverspu-
ren.“
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Man hat ihn hinterrücks umgelegt, aus nächster
Nähe. Damit hat der Bosco nicht gerechnet. Sein
Gesichtsausdruck hält für alle Zeiten sein Erstau-
nen fest, das so groß wie kurz gewesen sein muß.
„Das hier haben wir in seiner Tasche gefunden“,
ergänzt der Capitaine und wiegt einen Schlüssel in
der Hand. „Keine Papiere, kein Geld.“
Es ist ein Schlüssel der Marke Fiochet-Bauche
aus Gußaluminium, der an einer drei Zoll großen
Metallplatte mit einer Nummer auf der einen, ei-
nem Logo auf der anderen befestigt ist.
„Sagt dir das Logo irgendwas?“
„Es ist das einer Firma, die auf den Einbau von
Tresoren spezialisiert ist. Sie versorgt exklusiv die Schließfächer von Bahnhöfen und Flughäfen. Die
Firma hat mir eine Liste ihrer Kunden zur Verfü-
gung gestellt.“
„Eine Diskette hatte er natürlich nicht bei sich!“
„Hätte mich gewundert.“
„Mich auch.“
Wir knöpfen uns als erstes den Hauptbahnhof
vor, als nächstes die Busbahnhöfe. Wir brauchen
drei Stunden, um zu des Pudels Kern vorzustoßen,
den wir im Untergeschoß C des Flughafens finden.
Der Schlüssel dreht sich butterweich im Schloß,
die Tür vom Schließfach springt auf, und zum Vor-
schein kommt ein brandneuer lederner Aktenkof-
fer.
„Sieh erst mal nach, ob er nicht vermint ist“,
weist der Capitaine einen der Spezialisten an.
Nach der Beendigung des Routine-Checks holen
wir den Koffer heraus. Wie ein Fausthieb trifft
mich als erstes inmitten eines Wusts von Kassetten, 154
Akten und Papieren der Anblick eines sorgfältig
gebundenen Manuskripts, auf dessen Einband in
fetten roten Lettern geschrieben steht: H-IV.
Der Capitaine und seine Spezialisten
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