Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß
machen sich
gleich nach der Rückkehr ins Hauptquartier an die
Arbeit. Sie werden sich die Nacht mit der Durch-
sicht der Dokumente um die Ohren schlagen und
dabei Sehkraft und Denkkraft abnutzen.
Gegen elf Uhr morgens treffe ich in ihrer Kom-
mandozentrale ein, die zum Kinosaal umfunktio-
niert worden ist. Ich finde einen erschöpften, auf-
gelösten Capitaine Berrah vor, mit tiefen Augen-
ringen und blau verfärbten Lippen. Seine Männer
hängen völlig geschafft über den dreißig Stühlen,
die in mehreren Reihen bis zur Vorführkammer
ansteigen.
„Ich hoffe, das war nicht alles für die Katz, dieser ganze Energieverschleiß, Capitaine?“
„Das war jede Mühe der Welt wert. Setz dich
dort hin. Es gibt Café und Sandwiches, wenn du
willst.“
Er klatscht in die Hände, um sich bei seinen
Männern zu bedanken: „Leute, ihr wart Spitze! Wir
treffen uns in zwei Stunden. Und abends gibt’s in
der Offiziersmesse ein Méchoui.“
Kaum sind wir allein, läßt er sich in einen Sessel
fallen und fächelt sich mit einer Karteikarte Küh-
lung zu.
„Was Greifbares?“
„Kannst du wohl sagen!“
„Und Dahmane Faïd? Ich wäre für den Rest mei-
nes Lebens untröstlich, wenn er nicht mit drin-
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steckte.“
„Bis zum Hals, Kommissar, bis zum Hals.“
Erst jetzt verspüre ich Lust auf einen Kaffee und
bekomme Appetit auf ein Sandwich.
Berrah resümiert mir kurz und bündig die Vierte Hypothese, spielt mir eine Tonbandaufzeichnung nach der anderen vor. Ich höre und höre und traue
meinen Ohren nicht.
Dahmane Faïd, der Milliardär Kaddour Abbas,
Jilali Younes, Inhaber der Le-Mouflon-Kaufhäuser,
Hamma Dib, der Juwelier, und noch zwei weitere
der vermögendsten Männer sind hingebungsvoll
damit beschäftigt, die einzelnen Abschnitte der
Direktive H-IV zu diskutieren, und reiten sich da-
bei immer tiefer hinein. Von Zeit zu Zeit schwillt
die Lautstärke an, etwa wenn sie einander zu über-
trumpfen suchen, die einen diesen oder jenen Wirt-
schaftssektor für sich beanspruchen, die anderen
hier und da ein Zugeständnis machen, um im
nächsten Atemzug schon wieder eine Kompensati-
on einzufordern. Sie debattieren über den Einsatz
bestimmter Strategien, die Opportunität gewisser
Engagements, die Notwendigkeit einer großange-
legten Sabotageaktion.
Berrah illustriert die Verschwörung mit schwar-
zen Listen der gesamten Infrastruktur, die sabotiert werden soll. Er zeigt mir Fotos, auf denen man
Mérouane TNT erkennt, wie er gerade dabei ist,
den Stahlkomplex von Zitouna in die Luft zu ja-
gen, oder die Handlanger von Hamma Dib, wie sie
ihren schmutzigen Geschäften nachgehen. Wir
sehen kompromittierende Videos, an denen es
nichts zu deuten gibt, studieren Fotokopien, sortie-156
ren Beweisstücke. Stoff genug nicht nur für einen
Bestseller, sondern vor allem Stoff genug, sechs
dicke Vermögen Algiers an den Galgen zu bringen.
Es ist alles da: von den Verschwörungsthesen, die
auf die Destabilisierung der Volkswirtschaft abzie-
len, um den Staat zu zwingen, einen Teil seines
industriellen Besitzes zu verschleudern, zur kom-
pletten Liste jener Sektoren, auf die Dahmane Faïd
und seine Clique scharf sind; sowohl Mitschnitte
von Telefongesprächen als auch Kopien von
Schecks in astronomischer Höhe mit den Namen
der Brandstifter und Mörder; hier die Anweisungen
zur Ermordung Ben Oudas und anderer „räudiger
Schafe“, dort die Erfolgsberichte nach beendigter
Mission …
„Wann nehmen wir die Schweinehunde fest?“
frage ich empört.
„Sobald ich mich ein bißchen frisch gemacht ha-
be.“
„Ich weiß, daß der Fall in die Zuständigkeit des
Geheimdienstes gehört, aber um Faïd würde ich
mich gerne persönlich kümmern.“
„Keine Einwände, vorausgesetzt, du bringst ihn
direkt hierher.“
„Du bist ein echter Kumpel … Apropos Athmane
Mamar, hast du etwas gegen ihn in der Hand?“
„Und ob! Er war von Anfang an mit dabei. An-
scheinend hat ihm sein Schwager, der Professor,
von Ben Oudas Plänen erzählt. Als er daraufhin
einen Rückzieher machte, hat Faïd ihm Mérouane
TNT auf den Hals geschickt, um ihn mitsamt sei-
nem Betrieb in die Luft zu jagen.“
Ich nehme mein Kinn zwischen Daumen und
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Zeigefinger und denke nach. Der Capitaine wirft
mir einen beunruhigten Blick zu, verwundert über
meine nachdenklich gerunzelte Stirn.
„Stimmt was nicht, Kommissar?“
„Ich verstehe da was nicht. Hattet ihr da
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