Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
Freude breitmacht, sofort in eine Ecke,
in der ich mich ausgeschlossen fühlen kann.
Wir kommen mit vierzig Minuten Verspätung in
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Hydra an. Eine Straßenschlacht zwischen Polizei
und einer Terroristengruppe hatte uns zu einem
Umweg genötigt.
Madame Rym bewohnt ein imposantes Herren-
haus an der Rue de la Paix, gegenüber einem Platz
voller Palmen, der wie eine Oase wirkt. Die Ge-
gend scheint idyllisch. Kein einziges Auto am
Straßenrand, keinerlei Lärm. Eine Gruppe Jugend-
licher albert unter einer Mimose herum. Ihre Ge-
sichter sind rosig, manche haben sich die Schläfen
ausrasiert, andere haben einen Pferdeschwanz, bei
allen funkelt ein Ring im linken Ohr. In Algier
nennt man sie die Tchitchi -Bruderschaft. Sie sind in der Lage, einen Krieg zu durchleben, ohne das
Geringste davon mitzubekommen.
Madame Rym ist erleichtert, als sie uns endlich
auftauchen sieht. Sie wollte schon fast die Hoff-
nung aufgeben, gesteht sie uns, während sie mich
am Arm nimmt, um uns ihren Freunden vorzustel-
len, die sich sichtlich wohl fühlen inmitten all der Pracht. Da gibt’s Miezen, die sind so liebreizend
wie Brokatstickerei, Frauen wie gefüllte Puten und
Herren von distinguiertem Äußeren. Hier und da
lagern ältere Damen mit der Reglosigkeit heiliger
Kühe auf dem Diwan, damit beschäftigt, ihr fettes
Vermögen wiederzukäuen und Gleichgültigkeit
gegenüber dem Charme ihrer Gigolos zu heucheln,
die bereit sind, ihnen für ein wenig Taschengeld
den Hengst zu machen. Weiter hinten dann die
Crème de la Crème, darunter, soweit ich erkennen
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kann, Baha Salah, ein Großindustrieller, der ein
Erdbeben auslöst, wenn er sich nur einmal
schneuzt; Amar Bouras, ein verstockter Regiona-
list, der es verstanden hat, in der richtigen Sippe das Licht der Welt zu erblicken und sich strikt an
den Wahlspruch der Seinen hält: sich schnell be-
reichern und lange herrschen. Er steht an der Spitze einer mafiösen Partei. Sodann Doktor Lounes Bendi, renommierter Gelehrter und eingefleischter Op-
portunist, der nicht zögern würde, seine eigene
Mutter den Flammen auszuliefern, nur um von sich
reden zu machen; Omar Daïf, heruntergekommener
Filmemacher, den man auf jeder Szene-Soiree
trifft, wo er mit beharrlichem Schielen nach einem
Mäzen Ausschau hält; Scheich Alem, glühender
Befürworter des Volksaufstands von 1992, der
mächtig stolz auf seine sechs Monate Internie-
rungslager ist und seinen subversiven Bart so wür-
devoll wie ein Stachelschwein seine Stacheln zur
Schau stellt. Und natürlich der unvermeidliche
Kader Leuf, ein aufrechter Journalist, hellsichtig, unbestechlich und objektiv, dem alle Welt ein-stimmig so viel Charakter wie einem französischen
Käse zuspricht.
Wie Achtzigjährige, die in die Schlacht ziehen,
schreiten wir die Front ab: hier ein Neureicher, dort eine vermögende alte Witwe. Ein Herr ist derart
beschäftigt, sich die Würmer aus der Nase zu zie-
hen, daß er nicht eine Sekunde für uns erübrigen
kann. In der Tat: eine höchst bedeutungsvolle Ex-
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pedition. Zwischen gestelzten Artigkeiten und
flüchtigen Salamaleikums lavieren wir uns durch
diesen Jahrmarkt, an dessen Ausgang uns die Gast-
geberin uns selbst überläßt, um den nächsten Troß
Neuankömmlinge unter ihre Fittiche zu nehmen.
„Eine Wucht!“ jauchzt Dine, der Madame Rym
mit den Augen verschlingt.
„Ihr Reichtum?“
„Sie selbst, na hör mal!“ schimpft er aufgebracht.
Ich gestehe ihm mildernde Umstände zu und ha-
ke das Thema ab.
Mostéfa Haraj läßt seinen Archipel dienstbarer
Geister im Stich und kommt zu mir herüber, um
mir mit seinem Scotch on the Rocks unter der Nase
herumzuscheppern. Haraj ist Bankier. Wir haben
uns bei einem Verhör kennengelernt, das er mir bis
heute nicht verziehen hat. Er ist untersetzt und bös-artig, hat eine Visage wie ein Galgenstrick und
würde eher einen Kredit riskieren als einem Unbe-
kannten zulächeln. Ein widerlicher Kerl!
„Sehe ich Gespenster oder was?“ kläfft er mich
an mit einer Stimme wie ein Abführmittel: „Bra-
him Llob unter der Elite, wer hätte das gedacht?“
„Ihr Enthusiasmus richtet mich auf.“
Da legt sich sein großes Maul in Falten: „Liegt
nicht in meiner Absicht, Sie aufzurichten. Wenn
Sie wüßten, wie abscheulich ich Sie finde … Lei-
der fehlen mir die Worte.“
„Leider ist das nicht das einzige, was Ihnen
fehlt!“
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Sein Blick durchbohrt mich wie ein Degen.
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