Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
ist kurz davor zusammenzusacken. Er
wischt sich die Hände an der Krawatte ab, macht
versuchsweise einen Schritt nach vorn, doch sein
schwerfälliges Hinterteil hält ihn zurück, und er
lehnt sich haltsuchend an die Wand.
„Du hast vergessen, hinter dir abzuziehen, Sam.“
„Sie verwechseln mich mit jemandem, guter
Mann. Ich heiße Llob, Brahim Llob.“
Sein Finger sagt nein, und seine Fettmassen be-
ginnen zu wogen: „Du bist Sam. Du gehörst in die
Kloake. Du kannst gleich reinspringen und hinter
dir abziehen, und wenn du’s nicht tust, tu ich’s für dich.“
„Da passe ich doch gar nicht durch!“
Er schnaubt so heftig, daß es ihm fast die Nasen-
löcher zerreißt, und trompetet los: „Du Saftsack, du 54
Arschloch, du Mistkerl! Hast du nichts Besseres zu
tun gehabt, als uns vor unseren Gegnern bloßzu-
stellen? Wolltest du dein Publikum mit deinen
käuflichen Scherzen amüsieren oder was? Wenn
Algerien dir zum Hals raushängt, dann verpiß dich
doch, und zwar dalli! Die Überläufer und Bastarde
da drüben warten schon auf dich, auf der anderen
Seite vom Meer!“
Es liegt keine Verwechslung vor. Kader Laouedj
meint zweifelsfrei mich. Er spuckt offenbar alles
an Gift und Galle aus, was ihm beim Lesen meines
Buches hochgekommen ist. Sein Gesicht ist violett
verfärbt und bebt in schäumender Wut, die ihm
schon aus den Mundwinkeln quillt.
Er taumelt, klammert sich am Waschbecken fest
und zeigt mit dem Finger auf den Spiegel hinter
sich.
„Wetten, der Spiegel zerspringt beim bloßen Ge-
danken daran, dein Bild wiedergeben zu müssen.
Du bist widerlich, Sam. Der größte Mistkerl aller
Zeiten. Algerien wird die, die ihm die Treue halten, zu erkennen wissen. Und die Verräter, früher oder
später kriegen wir sie alle zu fassen und ficken sie an Ort und Stelle in den Arsch.“
„Sie sollten nicht ganz so dick auftragen, Monsi-
eur Laouedj.“
„Man kann gar nicht dick genug auftragen, sonst
reißt es dir noch was auf, du Aasgeier. Aber du
hast auf die falsche Beute gesetzt. Algerien ist ein Herrenland, ein uneinnehmbares Heiligtum. Und
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die echten Algerier, das sind alles stolze Herren.
Sie halten der Katastrophe stand. Sie wanken und
sie weichen nicht. Keine Gewalt, und sei sie noch
so mächtig, vermag sie in die Knie zu zwingen.
Wir gehören zur Rasse der Unbezwingbaren, Sam.
Wenn der Donner des Himmels uns nichts anhaben
kann, dann wird uns dein Gesudel erst recht nicht
aus der Fassung bringen. Du bist ein Vollidiot, ein elender Trottel, ein rettungsloser Dummkopf!“
Er versucht, mich anzuspucken, doch besoffen,
wie er ist, bleibt ihm der Speichel an den Lippen
kleben und tropft dann langsam übers Kinn. Er
stützt sich gegen die Wand, krümmt sich in verbis-
sener Anstrengung und schnellt mit gestreckter
Faust nach vorn. Ich weiche ihm aus. Sein
Schwung reißt ihn mit und er torkelt ins WC. Er
klammert sich an der Klosettschüssel fest, krampf-
haft bemüht, sich wieder aufzurichten; doch seine
Schuhe rutschen auf den Fliesen weg, und schon
fällt er wieder hin. Man könnte fast Mitleid mit
ihm kriegen.
„Es ist aus mit dir, Sam. Wir machen dich fertig,
du Verräter, du Überläufer!“
Ich verlasse die Herrentoilette. Seine Säufer-
stimme verfolgt mich noch lange: „Aus mit dir …
du bist ein toter Mann, Sam!!! Saftsack …! Arsch-
loch …! Mistkerl …!“
Es sollte noch besser kommen. Nach dem Essen
paßt uns der Geschäftsführer des Corail an der 56
Rezeption ab. Erst schüttelt er Dine die Hand, dann zieht er seine Hand demonstrativ zurück, um mich
nicht grüßen zu müssen, fährt sich mehrmals mit
der Zunge über die Lippen und sagt schließlich:
„Monsieur Dine, unser Haus steht Ihnen jederzeit
offen. Sie sind ein besonders gern gesehener Gast.
Dennoch wäre ich Ihnen verbunden, wenn Sie
künftig auf Ihren Umgang achten wollten. Wir sind
ein Privatclub. Unsere Gäste sind anspruchsvoll.
Wir können es uns nicht leisten, unseren guten Ruf
aufs Spiel zu setzen.“
„Was ist denn bloß los, Monsieur Abbas? Gefällt
Ihnen die Nase meines Freundes nicht?“
„Um ehrlich zu sein: Ihr ganzer Freund gefällt
mir nicht.“
Dine blickt erst ihn an, dann mich, dann wieder
ihn, und seine Wangen zucken verdächtig. Seine
Faust krümmt sich und beginnt gefährlich zu be-
ben.
„Komm, wir gehen“, sage ich zu ihm.
„Einen Moment!“ ereifert er sich und schüttelt
meine Hand von seinem Arm. „Was
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