Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
wollen Sie mir
da zu verstehen geben, Monsieur Abbas?“
„Ich dachte, ich hätte mich deutlich genug ausge-
drückt.“
„Mag sein, aber ich habe es nicht recht begrif-
fen.“
Der Geschäftsführer schnippt mit den Fingern.
Schon kommen zwei Gorillas angetrabt, direkt aus
einem Horrorzoo entlaufen.
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„Wenn Sie die beiden Herren bitte hinausbeglei-
ten würden.“
Die zwei Gorillas packen uns, ehe wir auch nur
reagieren können, schieben uns zum Ausgang und
schmeißen uns raus. Der Geschäftsführer mustert
uns zwei Sekunden lang verächtlich, dann rät er
uns in einem Ton, der zu denken gibt, nie wieder
auch nur einen Fuß in die Nähe seines Etablisse-
ments zu setzen. Und bevor er uns definitiv den
Rücken zukehrt, bemerkt er noch zu mir:
„Manch kleiner Mann wär gerne groß, Monsieur
Llob. Doch kein Zwerg wird größer, höchstens
älter. Vorausgesetzt, er bleibt am Leben.“
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II
Das Schlimmste ist, um seine Dummheit zu wis-
sen
und sich nichts daraus zu machen.
Brahim Llob
6
Als es an der Tür klingelte, sann ich gerade darüber nach, was Lino mir eines Abends auf der Küsten-straße gesagt hatte. Wir waren in einem Grillroom
und schoben uns was zwischen die Kiemen. Lino
gab mit fettriefendem Kinn und Beulen in den Ba-
cken folgende tiefsinnige Bemerkung von sich:
„Die vernünftigste Art, einer Sache zu dienen, be-
steht nicht darin, für sie zu sterben, sondern sie zu überleben.“ Damals fühlte Algerien sich noch gesund und kräftig an, ich platzte fast vor Patriotismus und neigte nicht dazu, den Äußerungen eines
Untergebenen Beachtung zu schenken. Aber heute,
da trifft es mich wie ein Bumerang. Mit der Wucht
einer Wahrheit aus Kindermund. Stundenlang brüte
ich schon darüber nach. Ein harter Brocken. Un-
verdaulich. Einfach furchtbar.
Mein Leben lang habe ich immer daneben gele-
gen. War der ewige Brummbär, der Karikatur nä-
her als dem Wald, durch die allgegenwärtige Nie-
dertracht in eine Art größenwahnsinniger Starre
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versetzt, die mich blind und taub machte. Es wider-
te mich an, meine Umgebung fröhlich hinter einer
Pappnase hertrotten zu sehen. Doch heute, da weiß
ich: der Grauschleier, der mir den Blick verstellte, der bittere Groll, der mir die Eingeweide zerfraß,
all das kam daher, daß ich nicht zuhören konnte.
Ich war betäubt von meinem Groll, dem Groll des
Unbestechlichen, verblendet von meinem Ekel vor
allem, was meiner Vorstellung vom Wahren und
Guten widersprach. Vielleicht war es nur der Ver-
such gewesen, mich zu retten vor den Machen-
schaften des Teufels, der überall lauern konnte,
oder mich abzugrenzen vor den intriganten Um-
trieben, wie sie in den Zentren der Macht florier-
ten, denn mein Kokon erschien mir als das denkbar
beste Alibi. Welch Utopie! Einmal mehr hatte ich
nichts begriffen.
Gewiß, tröstete ich mich, in jeder Mülltonne fin-
den sich Dinge, die noch heil sind. Aber, so ver-
zagte ich gleich darauf, was ist das schon, ein heiles Ding in einer Mülltonne? Ob es nun von einem
Penner herausgepickt wird oder auf der Deponie
landet, der Welt des Unrats entgeht es nicht …
Voll daneben! Könnte ja sein, daß es recycelt wird!
Heute bin ich überzeugt, daß die modernden Ge-
wässer im Teich der Reinheit der Seerose keinen
Abbruch tun.
Ich hatte die Wahl zwischen zwei Wegen, mich
meiner Aufgabe gegenüber der Gesellschaft zu
entledigen: ihr zu Diensten zu sein oder sie mir zu 60
Diensten zu machen. Ich habe mich für den Weg
entschieden, der mir als das kleinere Übel erschien.
Es war hart, aber ich bereue nichts. Ich frage mich noch immer: Muß man seiner Überzeugung bis
zuletzt die Treue halten? Oder soll man sein Män-
telchen lieber nach dem Winde hängen? Und was
heißt das: bis zuletzt? Bis an den Galgen, bis in den Untergrund oder bloß bis in die Moschee, wo man
unter lauter Tattergreisen vermodert, wie es sich
für brave Pensionäre gehört?
Lino hatte recht gehabt. Er hatte mit übervollem
Mund gesprochen, an jenem Abend auf der Küs-
tenstraße, aber nicht nur wegen der Fleischspieß-
chen. Sterben ist der schlimmste Dienst, den man
einer guten Sache erweisen kann. Denn über allen
Trümmern und Opfern tummeln sich unweigerlich
irgendwelche Aasgeier, die listig genug sind, sich
als Phönix auszugeben. Und die werden nicht eine
Sekunde zögern, mit der Asche der Märtyrer ihre
privaten Paradiesgärten zu düngen, die Grabsteine
der Gefallenen
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