Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
allein, sie sucht einen Freund. Sie spürt meine Einsamkeit, darum zeigt
sie Mitgefühl.
„Hätten Sie wohl eine Zigarette für mich?“
Ehe meine Hand in der Hosentasche nachfor-
schen kann, verläßt sie schon ihren Tisch und
kommt zu mir herüber, ihr Glas wie eine Trophäe
in der Faust.
„Ich warte auf jemanden“, informiere ich sie.
„Wir alle warten auf jemand, wir wissen nur
nicht auf wen.“
Sie zieht eine Zigarette aus der Packung, die ich
ihr reiche, und dreht sie zerstreut zwischen ihren
knochigen Fingern hin und her. Sie lächelt, aber es ist ein trauriges Lächeln.
„Ich beobachte Sie schon seit einiger Zeit“, be-
kennt sie.
„Um ehrlich zu sein, ich hab’s gleich gemerkt.“
„Sie mußten annehmen, daß ich Sie anmachen
wollte.“
„Oh, das wäre zuviel der Ehre.“
Sie wühlt in einer armseligen Handtasche, beför-
dert ein Wegwerffeuerzeug zutage, zündet die Zi-
garette an und wendet sich ab, um den Rauch aus-
zuatmen.
„Ich bin keine Nutte.“
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„Habe ich auch nicht gesagt.“
„Aber gedacht … Ich sehe zwar so aus, aber ich
bin keine Prostituierte, Monsieur Llob. Ich habe
einen Beruf, der dem Laster ähnlich ist. Man
raucht, man schläft manchmal außer Haus, aber
man geht nie auf Kundenfang.“
„Kennen wir uns?“
Sie läßt die Hand kreisen, als imitiere sie den
Flug eines Schmetterlings: „Wir kannten uns mal
…“
Sie betrachtet sinnierend das rotglühende Ende
ihrer Zigarette. „Wir haben sogar einmal ein gan-
zes Wochenende lang zusammengearbeitet.“
„Sie sind von der Polizei?“
„Nicht direkt: Ich bin Journalistin … naja, ich
war es mal.“
Ich suche in ihren zerquälten Zügen nach einem
Detail, das meine Erinnerung auffrischen könnte,
versenke mich in ihren Blick. Nirgends in meinen
Hirnwindungen stoße ich auf ihre Spur.
„Malika“, hilft sie mir auf die Sprünge, erbost
über meine Gedächtnislücke.
Aber das bringt mich auch nicht voran. Ich mus-
tere ihr verwaschenes Kleid, das auf der Schulter
ungeschickt geflickt ist, ihre eingefallenen Wan-
gen, ihren Mund, dem das Lachen längst vergan-
gen sein dürfte, ihr rebellisches Haar, das ihr etwas Dämonisches verleiht, die Verzweiflung, die ihr
aus jeder Pore strömt …
„Die Bankaffäre von 1978“, seufzt sie. „Die bei-
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den Leichen im Tresor.“
Meine Hand schlägt kurz und heftig gegen die
Stirn.
„Malika Sobhi! Wie konnte ich das nur verges-
sen?“
„Wie soll man sich auch erinnern bei all dem
Chaos, das unseren Alltag aufmischt? Ist ja auch
schon eine Ewigkeit her. Es war die Zeit der Revo-
lutionen, der Hexenverfolgungen und der Hatz auf
die Reaktionäre … Ich habe Sie trotzdem gleich
erkannt“, konstatiert sie fingerschnipsend.
„Stimmt, Sie sind etwas fülliger geworden, an den
Schläfen etwas weiß überpudert, aber im großen
und ganzen sind Sie unverändert.“
„Ich muß zugeben, ich hatte nicht denselben
scharfen Blick.“
„Ist auch nicht dasselbe. Meine eigene Mutter
muß zweimal hinsehen, um mich zu erkennen. Die
Krankheit hat mich gezeichnet.“ Sie klopft sich mit dem Finger an den Kopf. „Zwei Depressionen,
zwei Jahre unter einem Dach mit den Verrückten.
Ich bin nackt durch die Straßen gelaufen. Es war
hart, sehr hart … Ich habe meinen Mann bei einem
Attentat verloren und den größten Teil meines
Verstandes in der Vereinigung der Terrorismusop-
fer, in der ich noch immer aktiv bin.“
„Tut mir leid.“
„Da sind Sie der einzige, das können Sie mir
glauben. Wenn Sie wüßten, wie wir behandelt
werden. Sie haben mich sogar geschlagen.“ Sie
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schüttelt ihre Mähne über meine Arme, um mir
eine Narbe am Kopf zu zeigen. „Sie haben gesagt,
ich sei eine Agitatorin, Monsieur Llob. Sie haben
versucht, es mir mit dem Gummiknüppel in den
Schädel einzuhämmern.“
Ein Kellner mit Krawatte nähert sich, entschul-
digt sich höflich bei mir, packt die Frau unsanft am Arm und sagt: „Sie stören den Herrn. Wenn Sie
sich bitte wieder an Ihren Tisch setzen wollen.“
„Und Sie? Stören Sie vielleicht nicht?“ schnauze
ich ihn an.
Er verhaspelt sich, schluckt krampfhaft seinen
Speichel hinunter und erklärt: „Diese Frau belästigt ständig unsere Gäste, Monsieur.“
„Ich bezahle alle meine Getränke“, protestiert
Malika.
„Ihr Geld interessiert uns nicht, Madame. Das
hier ist ein Teesalon, keine Nachtbar.“
Ich bitte ihn, es gutsein zu lassen. Er mustert
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