Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Titel: Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
Vom Netzwerk:
allein, sie sucht einen Freund. Sie spürt meine Einsamkeit, darum zeigt
    sie Mitgefühl.
    „Hätten Sie wohl eine Zigarette für mich?“
    Ehe meine Hand in der Hosentasche nachfor-
    schen kann, verläßt sie schon ihren Tisch und
    kommt zu mir herüber, ihr Glas wie eine Trophäe
    in der Faust.
    „Ich warte auf jemanden“, informiere ich sie.
    „Wir alle warten auf jemand, wir wissen nur
    nicht auf wen.“
    Sie zieht eine Zigarette aus der Packung, die ich
    ihr reiche, und dreht sie zerstreut zwischen ihren
    knochigen Fingern hin und her. Sie lächelt, aber es ist ein trauriges Lächeln.
    „Ich beobachte Sie schon seit einiger Zeit“, be-
    kennt sie.
    „Um ehrlich zu sein, ich hab’s gleich gemerkt.“
    „Sie mußten annehmen, daß ich Sie anmachen
    wollte.“
    „Oh, das wäre zuviel der Ehre.“
    Sie wühlt in einer armseligen Handtasche, beför-
    dert ein Wegwerffeuerzeug zutage, zündet die Zi-
    garette an und wendet sich ab, um den Rauch aus-
    zuatmen.
    „Ich bin keine Nutte.“

    111
    „Habe ich auch nicht gesagt.“
    „Aber gedacht … Ich sehe zwar so aus, aber ich
    bin keine Prostituierte, Monsieur Llob. Ich habe
    einen Beruf, der dem Laster ähnlich ist. Man
    raucht, man schläft manchmal außer Haus, aber
    man geht nie auf Kundenfang.“
    „Kennen wir uns?“
    Sie läßt die Hand kreisen, als imitiere sie den
    Flug eines Schmetterlings: „Wir kannten uns mal
    …“
    Sie betrachtet sinnierend das rotglühende Ende
    ihrer Zigarette. „Wir haben sogar einmal ein gan-
    zes Wochenende lang zusammengearbeitet.“
    „Sie sind von der Polizei?“
    „Nicht direkt: Ich bin Journalistin … naja, ich
    war es mal.“
    Ich suche in ihren zerquälten Zügen nach einem
    Detail, das meine Erinnerung auffrischen könnte,
    versenke mich in ihren Blick. Nirgends in meinen
    Hirnwindungen stoße ich auf ihre Spur.
    „Malika“, hilft sie mir auf die Sprünge, erbost
    über meine Gedächtnislücke.
    Aber das bringt mich auch nicht voran. Ich mus-
    tere ihr verwaschenes Kleid, das auf der Schulter
    ungeschickt geflickt ist, ihre eingefallenen Wan-
    gen, ihren Mund, dem das Lachen längst vergan-
    gen sein dürfte, ihr rebellisches Haar, das ihr etwas Dämonisches verleiht, die Verzweiflung, die ihr
    aus jeder Pore strömt …
    „Die Bankaffäre von 1978“, seufzt sie. „Die bei-
    112
    den Leichen im Tresor.“
    Meine Hand schlägt kurz und heftig gegen die
    Stirn.
    „Malika Sobhi! Wie konnte ich das nur verges-
    sen?“
    „Wie soll man sich auch erinnern bei all dem
    Chaos, das unseren Alltag aufmischt? Ist ja auch
    schon eine Ewigkeit her. Es war die Zeit der Revo-
    lutionen, der Hexenverfolgungen und der Hatz auf
    die Reaktionäre … Ich habe Sie trotzdem gleich
    erkannt“, konstatiert sie fingerschnipsend.
    „Stimmt, Sie sind etwas fülliger geworden, an den
    Schläfen etwas weiß überpudert, aber im großen
    und ganzen sind Sie unverändert.“
    „Ich muß zugeben, ich hatte nicht denselben
    scharfen Blick.“
    „Ist auch nicht dasselbe. Meine eigene Mutter
    muß zweimal hinsehen, um mich zu erkennen. Die
    Krankheit hat mich gezeichnet.“ Sie klopft sich mit dem Finger an den Kopf. „Zwei Depressionen,
    zwei Jahre unter einem Dach mit den Verrückten.
    Ich bin nackt durch die Straßen gelaufen. Es war
    hart, sehr hart … Ich habe meinen Mann bei einem
    Attentat verloren und den größten Teil meines
    Verstandes in der Vereinigung der Terrorismusop-
    fer, in der ich noch immer aktiv bin.“
    „Tut mir leid.“
    „Da sind Sie der einzige, das können Sie mir
    glauben. Wenn Sie wüßten, wie wir behandelt
    werden. Sie haben mich sogar geschlagen.“ Sie

    113
    schüttelt ihre Mähne über meine Arme, um mir
    eine Narbe am Kopf zu zeigen. „Sie haben gesagt,
    ich sei eine Agitatorin, Monsieur Llob. Sie haben
    versucht, es mir mit dem Gummiknüppel in den
    Schädel einzuhämmern.“
    Ein Kellner mit Krawatte nähert sich, entschul-
    digt sich höflich bei mir, packt die Frau unsanft am Arm und sagt: „Sie stören den Herrn. Wenn Sie
    sich bitte wieder an Ihren Tisch setzen wollen.“
    „Und Sie? Stören Sie vielleicht nicht?“ schnauze
    ich ihn an.
    Er verhaspelt sich, schluckt krampfhaft seinen
    Speichel hinunter und erklärt: „Diese Frau belästigt ständig unsere Gäste, Monsieur.“
    „Ich bezahle alle meine Getränke“, protestiert
    Malika.
    „Ihr Geld interessiert uns nicht, Madame. Das
    hier ist ein Teesalon, keine Nachtbar.“
    Ich bitte ihn, es gutsein zu lassen. Er mustert

Weitere Kostenlose Bücher