Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
ge-
hässig die Frau, schüttelt den Kopf und legt den
Rückwärtsgang ein.
„Dieser Mistkerl“, schimpft Malika. „Der hält
mich für bekloppt. Der hat keine Ahnung, daß in
unserem Land jeder von heute auf morgen plötz-
lich ganz unten sein kann.“
Ich nehme ihre Hände, um sie zu trösten.
„Kann ich irgend etwas für Sie tun?“
Ohne es zu beabsichtigen, habe ich offenbar ei-
nen höchst wunden Punkt berührt. Sie reißt entsetzt die Augen auf, bebt von Kopf bis Fuß. Ihre Wan-114
genknochen, die ohnehin schon kantig sind, treten
noch schärfer hervor.
„Wie bitte? Was haben Sie da gerade gesagt?“
Sie stößt meine Hände fort und steht polternd auf.
„Ihr Scheißmitleid brauche ich nicht, Monsieur
Llob. Ich habe nur jemanden zum Reden gesucht.“
„Ich bitte Sie, verstehen Sie mich nicht falsch.
Ich wollte Sie nicht kränken.“
„Sind alle gleich!“
„Hören Sie, Malika …“
„Pfoten weg, dreckiger Bulle!“
Der ganze Teesalon erstarrt in der Bewegung, um
uns zu beobachten. Malika Sobhi ist jetzt weiter
nichts als eine Jammergestalt mit struppiger Mäh-
ne, Schaum vor dem Mund und verdrehten Augäp-
feln. Sie schleudert mir ihre Zigarette ins Gesicht, greift nach ihrer Handtasche und läuft davon.
Ich versuche, sie einzuholen.
Sie taucht in die Menge ein und ist verschwun-
den, ohne sich noch einmal umzudrehen.
„Ich habe Ihnen doch gleich gesagt, daß die nicht
richtig tickt“, schnaubt mir der Kellner in den Na-
cken, zufrieden, das letzte Wort gehabt zu haben.
* * *
Ich bin ans Meer hinunter und habe zugesehen, wie
es mit den Felsen kämpft, während die Möwen mit
spitzen Schreien über der Gischt hinwegzischen.
Die Wellen sind derart hysterisch, daß sie die Fi-
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scher zum Rückzug in Richtung alte Landungsbrü-
cke zwingen. Der Strand ist überflutet, und in der
Bucht tost es zum Fürchten.
Ich weiß nicht, wieviel Zeit ich so herumgebracht
habe, ehe ich ziel- und lustlos weitergelaufen bin.
Ich habe nicht mitbekommen, wie sich die Sonne
abgesetzt hat, noch wie der Abend bei Einbruch
der Nacht immer finsterer blickte. Ich weiß nicht
einmal, wie ich am Ende zu Sid Alis Garküche
gekommen bin.
Sid Ali schwenkt wie bei einer Zeremonie einen
Fächer über seinem Grill. Um sich in Stimmung zu
versetzen, zieht er in vollen Zügen den Rauch sei-
ner Grillwaren durch die Nüstern ein und leckt sich die Lippen. Als er mich auf der Türschwelle stehen
sieht, hält er inne, legt seinen Fächer zur Seite und wischt sich seine fleischigen Finger an der Schürze ab, auf der die Sauce unübersehbare Spuren hinter-lassen hat.
„Was! Dich gibt es auch noch!“ ruft er aus und
kommt wie eine Woge auf mich zugerollt.
Er klatscht mir voll aufs Gesicht, und ich gehe
unter der Wucht seiner Zuneigung in die Knie. Der
Geruch verbrannten Fleisches, der von ihm aus-
geht, verschlägt mir den Atem.
„Bist du sauer auf mich? Du läßt dich ja über-
haupt nicht mehr blicken!“
„Ist auch besser so.“
Er runzelt die Stirn. „Warum sagst du denn so ei-
nen Mist?“
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„Scheint, daß meine Visage zum Heulen ist.“
„Na und? Freunde sind doch nicht nur zum Fei-
ern da.“
„Mein Vater hat mir geraten, meine Freude mit
anderen zu teilen und meinen Kummer für mich zu
behalten.“
„Da war er im Irrtum.“
Er tritt zurück, blickt mich abwägend an, drückt
mir einen Finger in die Wampe. „Du siehst aus wie
ein geschrumpfter Gummiball“, stellt er fest, wäh-
rend er mir einen Stuhl zurechtrückt. „Bist du auf
dem Sprung oder willst du was essen?“
„Beides.“
„Ich mache in einer knappen Stunde den Laden
dicht. Was hältst du davon, wenn du bei uns zu
Hause zu Abend ißt? Die Kinder werden sich freu-
en, dich wiederzusehen.“
„Laß gut sein. Mir ist nicht danach. Und außer-
dem kreuzt gleich Lino hier auf. Mach mir ein hal-
bes Dutzend Merguez mit massig Senf und schreib
an, ich bin total abgebrannt.“
Er kümmert sich um zwei Kunden hinten im
Raum und kommt wieder nach vorne geschlurft.
„Wo warst du denn die ganze Zeit?“
„Du weißt noch gar nichts?“
Er zieht einen Flunsch. „Mir sagt ja keiner was.“
„Sie haben mir meine Dienstmarke weggenom-
men.“
Er weicht sekundenlang meinem Blick aus, kratzt
sich am Schädel und läßt sich auf den Stuhl neben
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mir plumpsen.
„Ach …!“
„Scheint dich nicht sonderlich zu überraschen.“
Er macht eine undefinierbare
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