Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
zu, mit Scheuklappen,
die sich vor lauter dummer Gedankenlosigkeit ganz
verhärtet haben … Es schmerzt mich zu sehen, was
dir widerfährt. Noch hast du dir nicht alles Wohl-
wollen verscherzt: ich wäre untröstlich, wenn die
Polizei ein Element deiner Güte einbüßen müßte.
Das wäre Verschwendung, Brahim, eine giganti-
sche Verschwendung.“
Ich höre zu.
„Vor drei Tagen hatte ich eine Unterredung mit
Slimane Houbel. Der hat die Krise gekriegt, als ich nur deinen Namen erwähnte. Ehrlich gestanden,
ich finde, du bist mit deinem beschissenen Buch
einfach zu weit gegangen. Es ist von bestürzender
Unüberlegtheit. Ich sage nicht, daß du kein Talent
hast. Im Gegenteil, deine Feder müßte man mit
Gold aufwiegen …“
„Und wieviel wiegt eine Feder?“
„Laß uns bitte beim Thema bleiben! Ich bemühe
mich gerade, das, was du verbockt hast, wieder
zurechtzubiegen. Versuch, dich nicht undankbar zu
erweisen. Ich habe zwei gräßlich lange Stunden
gebraucht, um Slimane zu überzeugen. Ich hätte
weniger lange gebraucht, einen Mullah zur Ver-
nunft zu bringen, das weißt du. Den jüngsten In-
formationen zufolge wurde dein Pensionierungs-
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schreiben zurückgehalten. Ohne Wissen des großen
Manitu. Wir sind ein wahnwitziges Risiko einge-
gangen. Enttäusch uns jetzt nicht.“
Als er sieht, daß ich nicht gerade begeistert bin,
fährt er fort: „Wenn alles gut geht, nimmst du noch vor Monatsende den Dienst wieder auf. Deine
Männer sind völlig demoralisiert. Dein Leutnant
hat seine Versetzung beantragt. Ich habe einen
Kommissar in die Zentrale abgeordnet. Da geht es
zu wie im Sterbehaus. Sogar dein Direktor hat um
eine Audienz ersucht, damit du wieder zurück-
kommst.“
Ich bitte um Erlaubnis zu rauchen.
Er bewilligt es mir.
„Bin tief gerührt“, sage ich, während ich ihm den
Rauch ins Gesicht blase. „Im Gegenzug muß ich
jetzt Wohlverhalten an den Tag legen, nehme ich
an.“
Er kommt hinter seinem Schreibtisch hervor. Ein
entscheidender Augenblick. Er verschränkt geziert
beide Hände unter seinen Lippen und richtet seinen
scharfen Blick auf mich. Lastendes Schweigen
macht sich breit, nur ganz leise von den Geräu-
schen unterlegt, die gedämpft vom Souk hochdrin-
gen.
„Bevor du mir antwortest, nimm dir Zeit und
denk nach. So sensibel und impulsiv wie du bist,
ziehe ich es vor, zur Not eine ganze Woche auf
deine Antwort zu warten. Um Himmels willen,
Brahim, sag bloß nicht sofort etwas. Nimm alles in
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dich auf und gehe nach Hause, denk drüber nach.
Laß es gut sein für heute.“
„Ich bin bereit.“
Er atmet tief durch, tupft sich nervös den
Schweiß mit einem Taschentuch ab. Man könnte
meinen, seine Karriere, sein Vermögen, sein gan-
zes Schicksal hingen von meiner Entscheidung ab.
„Du mußt öffentlich anerkennen, daß du dich ge-
irrt hast, daß dein Buch eine unglückselige Unter-
nehmung war, Ausfluß einer schwierigen Phase …
Ich bitte dich, sag jetzt nichts. Das ist doch alles halb so schlimm. Man verlangt doch nichts Un-mögliches von dir. Eine kurze Erklärung für die
Presse, ohne großes Tamtam. Wenn du willst,
kannst du auch ins Fernsehen. Noureddine Boudali
ist bereit, dich in seiner Sendung zu begrüßen. Das ist ein Profi, der richtet dir alles nach Wunsch. Es reichen schon zwei Worte, Brahim, zwei elende
Worte: Ich bedaure … “
Diesmal ist das Schweigen total. Fast kann man
das Blut in Hadis Schläfen pochen hören. Selbst
die Geräusche vom Souk sind verstummt. Hadi
Salem schwimmt in seinem Schweiß. Sein Ta-
schentuch ist triefnaß.
Ich drücke meine Zigarette im Aschenbecher aus
und stehe auf. Hadi Salem klebt mir an den Lippen,
mit flehendem, verzweifeltem Blick.
Alles, was ich sage, ist: „ Ich bedaure nur eines: überhaupt hierher gekommen zu sein.“
Da gerät er in Bewegung. Seine Angst verwan-
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delt sich schlagartig in Wut. Seine Pupillen, die
einen Moment lang glasig wirkten, glühen auf in
Haß. Er stützt sich auf den Schreibtisch, lehnt sich weit im Sessel zurück und betrachtet mich eindringlich, ehe er hervorstößt: „Wenigstens werde
ich ein ruhiges Gewissen haben.“
Ich brauche keine Nachhilfe, um zu begreifen,
was er damit andeuten will.
* * *
Es ist ein roter Wagen mit getönten Scheiben. Und
einer breiten Schramme am rechten Seitenflügel.
Ich glaube, ich habe ihn heute morgen schon mal
gesehen, er parkte gegenüber der Werkstatt, aus
der ich meine
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