Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
Handbewegung.
„Ich habe zwar nur eine Garküche und bin nicht
sonderlich gebildet, aber das heißt noch lange
nicht, daß ich einen Fußball zwischen den Schul-
tern sitzen habe. Wozu letztlich der Krieg gegen
die fundamentalistischen Bösewichte, wenn nicht,
um einen Krieg gegen die fundamental Guten aus-
zulösen? Du bist weder der erste noch der letzte,
den es erwischt. Um die Wahrheit zu sagen, ich
sprech lieber nicht darüber. Ich habe mich die gan-
zen letzten Jahre über so sehr ausgekotzt, daß ich
heute nicht mehr auf den Topf brauche. Und au-
ßerdem, bei deinem Alter, was hast du dir denn
vorgestellt? Daß sie dir die Uniform gleich mit
wegnehmen?“
Er legt seinen resignierten Tonfall ab und stößt
mir den Ellenbogen in die Seite. „Los, lächle mal.
Kennst du den schon? Wie nennt man ein Kängu-
ruh, das nicht zurückkommt?“
„Wenn du einen Bügel meinst, bist du echt der
letzte Trottel.“
Er schmeißt sich mit einem Stehaufmännchenla-
chen nach hinten und läßt seine Speckfalten tanzen.
„Kanntest du den schon?“
Zehn Minuten später lädt er ein ramponiertes
Tablett voller Fleischspießchen, Zwiebelscheiben,
Pepperoni und Brot nebst einem Krug mit einem
118
absolut widerwärtigen, selbstgebräuten Gesöff vor
mir ab und quetscht sich mir gegenüber auf die
Bank, das Gesicht in die Hände vergraben, um mir
beim Mampfen zuzusehen.
„Irgendwelche Pläne?“
„Erstmal meine Pechsträhne überwinden.“
„Also bitte, trag bloß nicht so dick auf. Davon
geht doch die Welt nicht unter. Es gibt auch noch
was anderes als die Polente im Leben. Hast du
nicht längst genug, nach all den Jahren? Mach mir
die Freude und zieh einen Strich unter dieses Kapi-
tel. Es bringt eh nichts, die Welt verbessern zu
wollen. Sie ist, wie sie ist. Der Messias persönlich würde sie nicht ändern können. Der Beweis? Er
will erst am allerletzten Tag wiederkommen. Ist ja
nicht so, daß ich dich nicht verstehen könnte. Du
steckst den Kopf in den Sand. Du bist nicht der
Anwalt der Armen und noch weniger der Rächer
der Enterbten, den der Himmel uns schickt. Du bist
ein kleiner Funktionär, bestenfalls eine Handvoll
Groschen wert. Du machst deinen Job und ab in die
Federn, aus und basta. Ich sage ja nicht, daß es
dich nichts anginge, oder daß man noch nicht mal
den kleinen Finger rühren sollte. Ich sage nur, daß es nicht ratsam ist, über den eigenen Hintern hinaus zu furzen. Worauf es ankommt, ist, daß man
keine krummen Dinger dreht. Und du, hast du je
ein krummes Ding gedreht? Nie im Leben. Wenn
die anderen es tun, was geht’s dich an? Vor dem
Herrgott steht jeder mit seinem Gewissen allein.“
119
„Sid Ali, um Himmels willen, siehst du nicht,
daß ich esse?“
„Ißt du neuerdings vielleicht mit den Ohren? Und
außerdem, wie soll ich bitte schön den Mund hal-
ten, wenn du die ganze Zeit über kein Wort von dir
gibst?“
* * *
Lino hat seinen Zopf abgeschnitten. Er hat sich die Schläfen ausrasieren und die Strähne auf der Stirn
eindrehen lassen. Zum Ausgleich hat er seit unse-
rem letzten Treffen die Bartstoppeln stehen lassen.
Mit seinem Tropenhemd, seiner an den Knien ab-
gewetzten Jeans und seinen falschen Markenturn-
schuhen sieht er aus wie ein Luppy vom Lande, der
frisch in der Großstadt eingetroffen ist.
Er winkt lässig zu Sid Ali hinüber und macht mir
Zeichen, zu ihm zu kommen.
Hinter ihm steht Ewegh Seddig und hat die Stra-
ße fest im Blick. Seine Kolossalstatur verdeckt fast das Auto. Die Arme über der Brust verschränkt, die
Beine fest in den Boden gerammt, beherrscht er
den Gehweg so undurchdringlich wie seine
schwarze Sonnenbrille. Einmal habe ich ihn ge-
fragt, warum er nachts eine Brille trägt, die eigentlich als Schutz vor der Sonne gedacht ist. Um die
anderen vor seinem Blick zu schützen, hat er ge-
sagt.
Ich wische mir Mund und Hände mit einem Lap-
120
pen ab und sprinte zum Auto. Lino setzt sich ans
Steuer. Eweghs Blick sucht die Gegend ab, ehe er
sich auf die Rückbank zwängt.
„Wie geht’s denn so?“ frage ich ihn.
„Hmmm …“
Lino chauffiert uns bis hinter Bab El-Oued, vor-
bei am Platz des 1. Mai, und rast dann die Küsten-
straße entlang, eine Hand am Steuer, die andere im
offenen Fenster. Er schweigt. Ab und zu, um das
Schweigen zu überwinden, tut er so, als interessie-
re er sich für die Gaffer am Straßenrand, fixiert sie auch noch im Rückspiegel und hat sie ein paar
Weitere Kostenlose Bücher