Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Titel: Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
Vom Netzwerk:
seiner falschfrommen Gymnastik überra-
    sche. Aber mich bewegt allein die Frage, wie er es
    angestellt hat, zu seinem Schreibtisch zu kommen,
    das Licht auf Grün umzuschalten und ins Interphon
    zu sprechen, ohne sich aus seiner Rumpfbeuge zu
    erheben. Ich muß mich gedulden, bis er mit seinem
    Gemurmel fertig ist.
    „Ich werde dir die Nase langziehen, bis deine
    Ohren im Kopf verschwunden sind!“ ruft er beim
    Aufstehen.
    Und schon springt er mich an, um mich demonst-
    rativ zu umarmen. „Du Oberschlawiner!“ jubelt er.
    „Immer muß er seinen Rüssel in Dinge stecken, die
    ihn nichts angehen! Unverbesserlicher Dreckskerl
    von Aufrührer, du! Eine Zwangsjacke allein reicht
    nicht aus, dich zu zähmen.“
    Er schiebt mich von sich weg, um mich zu be-
    trachten, zieht mich wieder an seine Catcherbrust
    und sabbert mir das Gesicht voll. Ich fühle mich
    wie im Auge des Orkans.
    Schnell hat ihn seine Warmherzigkeit erschöpft.
    Mit größter Behutsamkeit verstaut er mich in ei-
    nem Sessel und geht einen Schritt zurück, die
    Fäuste in die Hüften gestemmt. Als ob er es nicht
    fassen könnte! Er bleibt vor mir stehen, froh und
    gerührt, mich bei sich zu haben, vor seinen Augen,
    in Fleisch und Blut – er, der die miesesten Berichte über mich verfaßt hat, er, der meinen Direktor be-drängt hat, mir das Rückgrat zu brechen, er, der
    keine Sekunde gezögert hat, den Daumen nach

    101
    unten zu richten, wenn ich mal wieder hilflos am
    Boden lag und alle Viere von mir streckte.
    „Heiliger Hurensohn einer verdammten Nutte!
    Du ahnst nicht, wie froh ich bin, dich wiederzuse-
    hen. Ist schon eine Weile her, stimmt’s?“
    Salem und ich sind vom selben Examensjahr-
    gang. Wir haben 1963 zusammen den Fortbil-
    dungskurs für Ermittler besucht. Er ist überall
    durchgefallen und wurde in die Verwaltung ver-
    setzt. Er war jahrelang fürs Sozialwesen der Trup-
    pe zuständig und hat, sowohl für sich selbst wie für seine Chefs, in allen Städten Paläste errichtet. Er hatte von Anfang an kapiert, wo’s langging. Algerien war in zwei Freihandelszonen aufgeteilt. Hier
    das Revier der Intriganten, der Schleimscheißer
    und Roßtäuscher, dort das der Erleuchteten, der
    Sauertöpfe und Kinderfresser. Er hat sein Lager
    gewählt und nie Grund zur Klage gehabt. Während
    ich Verbrechern nachstellte, ging er in trüben Ge-
    wässern fischen. Und in Ermangelung jeder Kom-
    petenz – der Mutter aller Scherereien –, übte er
    sich nicht ohne Erfolg im Fälschen von Rechnun-
    gen und in Korruption. Resultat: Er ist steinreich, hat eine Abteilung unter sich, deren Arm weit in
    die Délégation hineinreicht, und der Schrott, der
    aus seinem Munde kommt, steht im Rang eines
    unanfechtbaren Prophetenworts.
    Er setzt sich mit halbem Hintern auf die Schreib-
    tischkante, verschränkt die Finger überm Knie und
    fährt fort, mich anzuhimmeln: „Der gute alte Bra-
    102
    him! So ein sturer Bock! Was muß man nicht alles
    in Bewegung setzen, um ihn endlich einmal zwi-
    schen die Finger zu kriegen! Du hast dich kein Jota geändert, du Mistkerl! Erinnerst du dich noch an
    unseren Fortbildungskurs im Ausbildungszentrum
    von Soumaa? A propos, was wohl aus dieser Putz-
    frau geworden ist, die wir uns von früh bis spät
    streitig machten? Wie hieß sie doch gleich? War-
    dia? Du erinnerst dich doch noch an ihr Fahrge-
    stell? Verdammt, bei der habe ich nicht einen Gro-
    schen beiseitelegen können.“ Er lacht polternd.
    „Und Kada, der Brigadier? Bei Gott, den hast du
    vielleicht an der Nase rumgeführt! Du hättest ihn
    fast in die Klapsmühle gebracht …“
    Plötzlich wird sein Teint fahl.
    „Du warst ein richtiger Scherzkeks, Brahim. Ein-
    same Spitze. Was ist bloß in deinem Kopf passiert,
    daß du dich um 180 Grad gewendet hast?“
    „Das kommt vom Wind, Hadi, alles nur vom
    Wind.“
    „Der Wind dreht sich, und die Wetterhähne
    auch.“
    „Nicht der Wind der Reden und Parolen.“
    Seine Finger lösen sich, kriechen über seinen
    Schenkel. Seine Miene verdüstert sich.
    „Brahim, wir sind doch Freunde, oder nicht?“
    „Wenn du das so siehst.“
    „Ganz recht, das seh ich so. Mein Blick ist
    scharf. Er reicht weiter als deine Schnod-
    derschnauze, mit der du dir nur Ärger einhandelst.

    103
    Es ist der Blick eines Mannes, der sich auskennt,
    der weiß, woher er kommt, wohin er geht, was er
    selbst will und was er besser anderen überläßt, was er kann und was nicht. Du dagegen, du rast mit
    Volldampf auf den Abgrund

Weitere Kostenlose Bücher