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Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Titel: Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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waren sie wieder da und
    wollten Geld von ihm erpressen. Er hat sie gleich
    mit dem Gewehr begrüßt. Ein Salut nach den Re-
    geln der Résistance. Am Tag darauf hat er den ers-
    ten Patriotentrupp der ganzen Region aufgestellt
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    und sich bereiterklärt, die Leitung des Rathauses,
    das die Fundamentalisten in Schutt und Asche ge-
    legt hatten, zu übernehmen.
    „Störe ich euch?“
    „Nicht im geringsten.“
    Er zieht gewissenhaft sein Hemd über den nack-
    ten Nabel.
    „Na?“ ruft er aus, während sein Arm einen
    Schwenk über den Horizont beschreibt. „Ist es
    nicht schön, unser Land? Wie kann man nur in
    einer derart häßlichen Stadt leben, überall dieser
    furchtbare Asphalt und Beton, dazu Lärm und ver-
    schmutzte Luft bei Tag und Nacht?“
    „Indem man die Augen schließt und sich die Na-
    se zuhält.“
    Er stützt sich auf einen Ellenbogen, legt den Ka-
    rabiner neben seinem ausgestreckten Bein ab und
    läßt seinen Blick umherschweifen.
    „Früher war es einfach fabelhaft! An den Feier-
    tagen sind die Leute aus den Nachbardörfern hier
    zusammengekommen. Sie haben ihre Decken aus-
    gebreitet und friedlich gepicknickt. Die Jungen
    haben Fußball gespielt. Es war herrlich!“
    „Damals war man sich seines Glücks gar nicht
    richtig bewußt.“
    „Da hast du recht, man nahm das einfach so hin.
    Es gibt Leute, die merken gar nicht, was für ein
    Glück sie haben.“
    „Nietzsche sagt: Unter friedlichen Umständen
    fällt der kriegerische Mensch über sich selber

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    her! “
    „Und wer ist Nietsch?“
    „Ein Bruder im Geiste.“
    Aldi sucht sein Gedächtnis des langen und brei-
    ten nach dem Bruder ab, dann gibt er auf.
    „Ach ja“, erinnert er sich plötzlich, „dein Direk-
    tor hat auf der Post eine Nachricht für dich hinterlassen. Du möchtest zurückkommen.“
    „Ist es dringend?“
    „Am Dienstag sollst du dich bei der Zentrale
    melden.“
    „Dann bleiben ja noch vier Tage, uns ein Visum
    zu beschaffen“, sage ich zu Arezki.
    „Du sprichst für dich. Mich wird diesmal der
    stärkste aller Kräne nicht von hier fortbewegen …
    Bab El-Oued, damit ist’s aus. Ich möchte inmitten
    der Meinen den Geist aufgeben.“
    „Recht hast du!“ stimmt Aldi energisch zu. „Die
    ganze Pracht des Ozeans läßt den Lachs nicht sei-
    nen guten alten Fluß vergessen.“

    * * *

    Akli hat uns zu einem Essen in seine Residenz ge-
    laden. Er hat alle Welt eingeladen. Um den Künst-
    lern Ehre zu erweisen, hat er ein Porträt von Tahar Djaout* [* Algerischer Journalist und Schriftsteller, 1993
    ermordet. In „Morituri“ zitiert Commissaire Llob als Rechtfertigung für seine Unbeugsamkeit dem Terror gegenüber einen Ausspruch von Djaout: „Wenn du redest, stirbst du, wenn du schweigst, stirbst du. Also rede und stirb.“] zwi-146
    schen zwei Damaszenerklingen an der Wand auf-
    gehängt.
    Ich mochte Tahar gern. Er war ein Junge mit
    vollendeten Manieren. Wenn die Höflichkeit eines
    Tages Gestalt annehmen sollte, dann die von Ta-
    har. Der studierte Mathematiker, der aus Pflichtge-
    fühl beim Journalismus gelandet ist, war ein talen-
    tierter Poet. In einem geschmiedeten Bronzerah-
    men schaut er mich aus unruhigen Augen an, als
    verstünde er nicht, was er in diesem Glaskasten
    verloren hat, er, der in die Welt geboren wurde, um sie zu erobern. Er sieht regelrecht entfremdet darin aus … Die schönste Chinavase kann der Blume
    keine Wiese ersetzen.
    „Immer, wenn er in der Gegend war, ist er auf ei-
    nen Sprung nach Igidher gekommen“, erzählt Akli.
    „Er hat Stunden im Zwiegespräch mit dem Berg
    zugebracht. Hier hat er seine ersten Texte ge-
    schrieben.“
    Ich betrachte den seligen Tahar. Mit seinen ge-
    zwirbelten Schnurrbartenden sieht er aus wie ein
    Jüngling aus der Blütezeit der Bohème. Es fällt mir schwer zu glauben, daß die Knarre, die seinen Tagen ein Ende gesetzt hat, angesichts von so viel
    Schlichtheit nicht den Dienst verweigert hat. Aber
    in einem Land, in dem man sogar die Säuglinge in
    der Wiege zerstückelt, wäre es wohl zu viel ver-
    langt, von der Barbarei wenigstens einmal Anstand
    und Benimm einzufordern.
    „He! Herr Bürgermeister!“ ruft ein krausköpfiger

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    Mops beim Betreten des Saals. „Sie sollten Ihre
    Hunde besser anbinden!“
    „Ich habe gar keine Hunde.“
    „Woher stammt denn dann dieser Hundedreck
    draußen auf dem Weg?“ schreit er und zeigt mit
    dem Finger auf einen Gecken im Drillichanzug.
    „Ich bin kein Hundedreck. Paß auf,

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