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Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Titel: Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Bra-
    him.“
    154
    „Du machst wohl Witze.“

    Im Dorf ist alles in Alarmbereitschaft. Die Haupt-
    straße ist menschenleer. Auf den Dächern bewegen
    sich Silhouetten, sichern ihre Kampfpositionen,
    erkennbar an den Sandsäcken, die sich auf den
    Terrassen stapeln. Am Ortsausgang leuchten
    Scheinwerfer die umliegenden Felder aus. Aus den
    Häusern schwirren Befehle, die die Frauen ermah-
    nen, ruhig Blut zu bewahren.
    Mohand stellt sein Auto neben einem Bewässe-
    rungsbecken ab und stößt zu seinem Trupp, der
    sich im militärischen Kampfdress auf einer Lich-
    tung versammelt hat.
    Ein magerer Rotschopf umreißt die Lage: „Wir
    wissen nicht, wie viele es sind. Wir sind bereit.
    Bachir hat auf Punkt 18 Posten bezogen, Ramdane
    auf Punkt 24. In fünf Minuten wird Akli an Punkt
    21 sein.“
    „Bestens.“
    Mohand inspiziert schnell seine Leute, kontrol-
    liert die Waffen und die Erste-Hilfe-Ausrüstung,
    befiehlt einem Greis, seine Uhr abzulegen. Der
    gehorcht auf der Stelle.
    „Diesmal entkommen sie uns nicht.“
    Die Männer nicken steif, in martialischer Hal-
    tung. Tapfer, mythisch und schön wie nur der
    Krieg sie zu formen weiß, um sie für das Unrecht
    zu entschädigen, daß er ihnen in der nächsten Mi-
    nute zufügen wird.

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    „Vorwärts!“
    Die Gruppe setzt sich in Marsch wie ein einziger
    Mann.
    Kein Zweifel: Wenn manche Nationen noch nicht
    zusammengebrochen sind, dann nicht, weil sie ei-
    nen Kopf auf den Schultern, sondern weil sie soli-
    de Beine haben.
    Als wir den Hügel hinabsteigen, ertönt eine grau-
    envolle Detonation.
    Unten am Hang brennen die Häuser.
    Der Anblick wirft mich um. Taos!
    Ohne mir dessen bewußt zu sein, rase ich wie ein
    Irrer auf den Weiler zu. Eine zweite Explosion löst einen Strudel an Staub und Flammen aus, der den
    oberen Teil von Imazighène verschluckt. Aus ei-
    nem Maschinengewehr dringt ein langgezogener
    Klagelaut, der die schüchternen Salven aus dem
    Dorf überdeckt. Abgehackte Schreie dringen an
    mein Ohr.
    Ich renne, renne blindlings drauflos, taub gegen-
    über den Zurufen Mohands. Ich spüre, wie mein
    Gesicht von Zweigen zerkratzt wird. Taos! Ich glaube, ihre Stimme inmitten von Donner und Geschrei zu hören, ich sehe nichts als ihr Gesicht im flammenden Inferno.
    Mein Fuß stößt jäh gegen ein Hindernis. Ich krei-
    sele um mich selbst und stürze in einen Graben.
    Mohand holt mich ein, außer sich: „Was hat dich
    denn gepackt? Man stürzt nicht so drauflos durch
    die Dunkelheit! Unsere eigenen Leute könnten dich
    156
    aus Versehen erschießen. Wir haben unsere Erken-
    nungszeichen und Anweisungen, an die wir uns
    strikt zu halten haben.“
    Die Gruppe setzt sich wieder in Bewegung, in ra-
    schen Sprüngen auf den Ort des Zusammenstoßes
    zu.
    Der Rotschopf fragt, ob wir eine Bahre brauchen.
    Ich beruhige ihn, und schon eilt er der Gruppe hin-
    terher.
    Mohand hilft mir auf die Beine.
    „Bist du sicher, daß es geht?“
    „Beeilen wir uns, sonst bringen sie noch alle
    um.“
    Jetzt kann man deutlich die kräftigen Feuerstöße
    erkennen, die aus dem Dickicht oberhalb des Wei-
    lers kommen. Leuchtkugeln jagen auf blitzenden
    Bahnen hintereinander her. Das Geschrei der Frau-
    en und Kinder übertönt den Choral des Bleis.
    „Das Militär ist im Anmarsch“, gibt der Funker
    bekannt. „Der Capitaine bittet um Geleit.“
    „Aldi wird ihn führen. Wir dürfen keine Zeit ver-
    lieren. Sonst treten die Khmej noch den Rückzug an und entwischen uns zwischen den Fingern.“
    Wir laufen querfeldein, säbeln die Barrikaden aus
    Feigenkaktus um. In nächster Nähe, links von uns,
    gehen Schüsse los. Hinter mir bricht jemand zu-
    sammen. Der Rotschopf. Es hat ihm die Schulter
    weggerissen. Er rollt sich zur Seite, sucht nach
    Deckung. Er hat keinen Laut von sich gegeben.
    Mohand kriecht zu ihm hin.

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    „Kümmert euch nicht um mich“, flüstert der Rot-
    schopf. „Ich komme schon durch.“
    Plötzlich, finsterster Vorzeit entsprungen, greift
    mich ein alptraumhaftes Wesen an, mit donnern-
    dem allahou aqbar* [* Arabisch: „Gott ist groß“], am ausgestreckten Arm eine geschwungene Axt. Eine
    Salve mäht ihn um, er schlägt vor mir zu Boden,
    mit offenem Mund und aufgerissenen Augen. Im
    Sturz hat das Monster einen ganzen Kaktus mitge-
    rissen. Ein Koloß von mindestens 120 Kilo, mit
    bodenlangem Haar und einem Bart, der ihm bis
    zum Nabel reicht. Er glotzt mich haßerfüllt an,
    versucht, sich wieder aufzurichten. Sein Gestank
    lähmt mich.

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