Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
was du re-
dest, du aufgeblasenes Arschloch.“
Allgemeines Gelächter begleitet den Auftritt die-
ses hinreißenden Gespanns. Der Dickmops macht
sich daran, die Greise fromm auf ihren Turban zu
küssen, nur den Imam läßt er absichtlich aus …
„Du hast vergessen, den Scheich auf den Kopf zu
küssen“, tadelt Mohand.
„Dazu müßte er erst einmal einen haben.“
„Was heißt, ich müßte erst einen haben?“
„Du bist dreimal in eine vorgetäuschte Straßen-
sperre geraten. Wenn du einen hättest, hätten die
roten Khmej das längst gemerkt.“
Eine neue Lachsalve ist die Antwort.
Der Dickmops beendet seine Begrüßungsrunde,
macht es sich auf einer mit Matratzen ausgelegten
Bank bequem und beginnt erneut, den Uniformier-
ten zu necken, der mürrisch und griesgrämig im
Türrahmen steht.
„He! Du Oberfastenrambo! Stimmt es, daß du
dein Fallschirmspringerabzeichen dafür gekriegt
hast, daß du einen Baumstamm heruntergerutscht
bist?“
„Eher dafür, daß ich aus dem Bett deiner
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Schwester gerutscht bin!“
„Danke für deine Begleitung. Jetzt raus mit dir.
Das hier ist nur was für Honoratioren!“
Akli nutzt die allgemeine Heiterkeit, um mir ins
Ohr zu flüstern: „Unsere Dick und Doof. Der Di-
cke, das ist Bachir. Hat sein Studium an der Uni-
versität von Tizi Ouzou aufgesteckt, um unsere
Reihen zu verstärken. Ist im Untergrund eine echte
Dampfwalze. Das Wort ‚Angst’ hat er aus seinem
Wortschatz gestrichen. Der Kleine ist Amar. Sie
sind Cousins und außerdem verschwägert. Halten
die Moral der Truppe hoch. Unsere Kämpfer him-
meln sie an.“
Ein junger Mann bahnt sich einen Weg durch die
Tische und beugt sich zum Bürgermeister vor. Akli
runzelt die Stirn, nickt und sagt: „Aber natürlich, laß sie herein.“
Der junge Mann geht in den Hof und kommt mit
einer Gruppe Dorfwachen zurück, die in ihrer
blauen Tunika vor Demut ganz pathetisch wirken.
„Die Patrouille von Sidi Lakhdar“, erfahre ich
von Akli. „Sie kommen gerade von einem Erkun-
dungsgang zurück.“
Die Dorfwachen stellen ihre Waffen in einer
Mauernische ab und mischen sich unter die Gäste.
Ein paar Jugendliche bringen Tabletts mit Schei-
ben vom Hammelspießbraten, Salatblättern und
Zwiebeln herein.
Bachir klatscht Beifall und leckt sich gierig die
Lippen. „Und jetzt füllt euch den Wanst!“ donnert
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er los, und das läßt sich keiner zwei Mal sagen.
Mohand fährt uns gegen halb fünf in der Früh zum
Haus von Idir zurück. Unsere Köpfe flirren vor
Lachen und Scherzen. Arezki hat nicht durchgehal-
ten. Die langen Jahre des Ausgeschlossenseins
haben ihren Tribut gefordert. Todmüde schwankt
er, von den kaputten Stoßdämpfern durchgerüttelt,
auf dem Rücksitz des alten Autos hin und her.
Am bläulichen Himmel der Naït-Wali steht der
Sichelmond wie ein abgekauter Fingernagel, den
ein Gott dort vergessen hat. Ein schimmernder
Kratzer tief unten am Horizont kündet von der
Fehlgeburt des neuen Tages. Es ist eine schöne
Nacht, die mit schnellem Flügelschlag über die
flaumigen Täler und Hügel enteilt, während der
Wind verspielt oder nur unentschlossen sich die
Zeit vertreibt, indem er das Zirpen in den Tiefen
der Büsche zum Schweigen bringt.
Wir nehmen die Hauptstraße durchs Dorf, die
von grellen Laternen mit bunten Lichtern übertupft
ist.
Slimanes Café hat noch offen. An den Tischen
sitzen Patrioten, Zigarette im Mundwinkel und
Gewehr auf den Knien. Hier und da sieht man
Gruppen von Jugendlichen, die die Schwüle wach-
hält, schwatzend oder kartenspielend auf Treppen-
aufgängen hocken. In Igidher wacht man bis tief in
die Nacht. Sicherheitshalber.
Das Auto biegt in einen Obstgarten ein, eine kläf-
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fende Hundemeute hinterher. Ein Hirt steckt den
Kopf aus seiner Hütte heraus. Er erkennt das Fahr-
zeug und macht sich daran, seine Tiere zu beruhi-
gen.
„Hier wollen wir eine Schule bauen“, erklärt
Mohand. „Unsere Kinder beklagen sich darüber,
daß die alte zu eng ist. Es wird einen Spielplatz
geben und, sobald wir das Wasserreservoire repa-
riert haben, sogar Duschen. Dann müssen unsere
Sportler nicht mehr nach Sidi Lakhdar ausweichen.
Wir haben eine selbstgebastelte Bombe von drei-
undvierzig Kilo unter der Chaussée entdeckt. Eine
Stunde, ehe der Gemeindebus hier durchkam. Was
für eine Katastrophe, wenn sie explodiert wäre. Im
Bus waren sechzig Schüler. Auf Klassenfahrt.“
„Ihr leistet
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