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Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Titel: Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Da nagelt ihn eine zweite Salve am
    Boden fest. Er röchelt. Blut sprudelt aus seinem
    Mund, sein Kopf rollt zur Seite.
    Als ich wieder zu mir komme, stelle ich fest, daß
    Mohands Gruppe schon die ersten Häuser von I-
    mazighène inspiziert. In einen Hof, der ihnen ver-
    dächtig vorkommt, werfen sie eine Handgranate.
    Nach der Explosion stürmen zehn Männer, wäh-
    rend die anderen im Zickzack weiterlaufen.
    Leuchtzeichen blinken von einem Gebäude her-
    ab. Mohand antwortet mit der Taschenlampe. Wir
    stürzen unter ohrenbetäubendem Kugellärm auf
    den Dorfplatz.
    „Sie ziehen ab, sie ziehen ab …“
    „Sie ziehen sich in die Wälder zurück …“
    In der Ferne löchern die Lichter des Militärkon-
    vois die Finsternis.
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    Mohand informiert Bachirs Gruppe über Funk
    und befiehlt ihm, die Terroristen abzufangen, falls sie versuchen, ihren Rückzug in seiner Richtung
    anzutreten. Und schon beginnen die Waffen aufs
    neue, einander anzuspeien.
    Die brennenden Häuser erleuchten das Dorf tag-
    hell. Zwei zerlumpte Körper liegen am Boden, ihre
    filzigen Bärte sträuben sich im Wind. Ein anderer
    liegt zerfetzt unter einem Baum. Die Luft ist vom
    Brandgeruch menschlichen Fleisches erfüllt. Hinter
    einem Vorhang aus lehmgelbem Rauch sitzt auf
    einer Türschwelle eine stöhnende Frau, die sich
    den Bauch mit beiden Händen hält, um das flie-
    ßende Blut einzudämmen. Die ersten Zivilisten
    wagen sich aus ihren Verstecken hervor, tauschen
    entsetzte Zurufe aus; andere eilen zu den Trüm-
    mern, um Verletzten beizustehen.
    Ein Greis kommt vorüber, die Arme wie schlaf-
    wandelnd ausgestreckt. Ein Patriot hebt ihn auf die Schultern und trägt ihn auf den Platz. Vereinzelt
    lassen sich ein paar Frauen blicken, Kindern
    klammern sich an ihre Gewänder.
    Wie im Wahn blicke ich auf die rauchenden Rui-
    nen. Zerfetzte Haustiere wälzen sich in riesigen
    Blutlachen. Federn kreiseln in der knisternden
    Glut.
    Das Haus meiner Taos gibt es nicht mehr. Nur
    eine Mauer ist stehengeblieben. Gleich einer Stele, in die der Blitz gefahren ist. Ein Lastwagen, vermutlich voll Dynamit, hat einen Krater im Hof

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    aufgerissen. Er ist umgekippt und völlig zerstört,
    mit deformiertem Fahrgestell und herausgerisse-
    nem Motor.
    Ich betrete den verwüsteten Patio, wie man in
    geistige Umnachtung sinkt. Ich habe das Gefühl,
    durch die Vorhölle zu irren. Ein Schatten unter den Schatten des Weltuntergangs … Taos … Taos …
    Wie ein Besessener beginne ich, Balken beiseite-
    zuschieben, Dielen und Steine anzuheben und mir
    die Hände im heißen Geröll aufzuschürfen.
    „Hier bin ich!“ meckert in meinem Rücken ein
    Stimmlein.
    Ich drehe mich ungläubig um … Und da sitzt sie,
    auf dem Stamm von etwas, das Minuten zuvor
    noch ein prachtvoller Johannisbrotbaum war. Da
    sitzt sie, meine Taos, gesund und munter, und in
    den Händen hält sie ihr Messingkästchen.
    „Mein Vater sagte immer zu mir: Geh nur, Taos,
    du bist ein gutes Mädchen. Wohin auch immer
    dich deine Schritte lenken, meine Baraka* [* Arabisch: Segen Gottes] begleitet dich. Du wirst wie eine Huri* [* Paradiesjungfrau] sein: Du wirst all deine Feinde sehen, aber keiner von ihnen sieht dich.“
    Erst jetzt zuckt mir ein heftiger Schmerz durchs
    Bein, und der Boden rutscht unter meinen Füßen
    weg.

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    Der Direx hat sich extra für mich in Schale ge-
    schmissen. Heitere Krawatte auf seidigem Hemd,
    Anzug von Pierre Cardin, dazu Krokoschuhe, ge-
    striegelte Mähne und rosige Wangen. Ein optischer
    Hochgenuß!
    Er ist höchst zufrieden mit sich und trägt die Hal-
    tung von einem zur Schau, der eine frohe Botschaft
    überbringt. In seinem zügellosen Enthusiasmus
    bemerkt er weder den Stock, auf den ich mich stüt-
    ze, noch mein Humpeln.
    Er reißt die Arme auseinander und ruft: „Welch
    eine Freude, dich wiederzusehen, Brahim! Ich
    dachte schon, du wärst mir böse.“
    Sein Jauchzen hört sich fast so an, daß man Lust
    hat, es für bare Münze zu nehmen. Er lädt mich
    ein, es mir auf dem Ledersofa unter der algerischen Fahne bequem zu machen, der Kuschelecke für
    privilegierte Besucher, und nimmt im Sessel
    daneben Platz. Seine Hypochonderhand klopft mir
    mutig aufs Knie. Es sollen freundschaftliche Klap-
    se sein, bleiben aber die des Bosses, der sein räudiges Schaf zu zähmen sucht.
    „Willkommen an Bord, Kommissar. Auf allen
    Decks herrscht Festtagsstimmung.“
    „Ist mir nicht entgangen.“ Ich fühle mich unwohl
    unter seinem brennenden

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