Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
„Ich bin
immun.“
Er verzieht nur den Mund. Fünf Sekunden lang
knetet er seine Finger durch, unfähig, sich zu ent-
scheiden, ob er die Katze am Schwanz oder am
Schopf packen oder besser gar nicht erst aus dem
Sack lassen soll.
„Ich war doch nur zwei Tage weg“, schimpfe ich.
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„Du willst mir doch wohl nicht weismachen, ich
hätte den Höhepunkt meiner Laufbahn in so kurzer
Zeit verpaßt!“
Er mobilisiert alle seine Kräfte, um mir schließ-
lich mit schwankender Stimme zu antworten: „Du
bist nicht auf dem laufenden?“
„Kommt darauf an.“
„Im Sekretariat vom Chef liegt ein Umschlag für
dich.“
„Wenn man dich so hört, könnte man meinen, es
handle sich um meinen Totenschein.“
„Ziemlich gut getroffen.“
Ich spüre, wie meine Innereien sich unentwirrbar
verknoten.
Lino fährt fort, seine Finger zu traktieren. Seine
Backenknochen hüpfen auf und ab, seine Lippen
haben sich olivgrün verfärbt und beben verdächtig.
Da klingelt plötzlich das Telefon und versetzt mich auf der Stelle in eine Art Starrkrampf. Als ich ab-hebe, spüre ich, wie meine Hand zittert.
Am Ende der Leitung näselt die Stimme des Di-
rex und gibt mir den Rest. „Brahim?“
„Ja, Herr Direktor.“
„Hast du eine Minute Zeit?“
„Sofort, Herr Direktor.“
Zwei Anläufe brauche ich, bis der Hörer wieder
ordentlich auf der Gabel liegt.
Peinlich berührt von meiner Beklommenheit,
macht sich Lino daran, seine 08/15-Brille auf
Schönheitsfehler hin abzusuchen.
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„Es geht ja schon los …“, stammle ich.
„Ich fürchte ja“, nickt er betrübt.
Ich schnappe meine Jacke und sause über den
Korridor. Die Belegschaft weicht vor mir zurück
wie vor einem Leichenzug. Ich brauche mich nicht
umzudrehen, um zu wissen, daß sich alle hinter mir
bekreuzigen.
Ab dem zweiten Stock lassen mich meine Beine
im Stich. Ich muß mich am Geländer hochziehen.
Dabei war ich doch schon immer aufs Schlimmste
gefaßt. Und jetzt, wo es passiert ist – die blanke
Panik.
Abgemagert ist er, der Direktor. Vor drei Tagen
hatte er noch blendend ausgesehen. Woraus ich
schließe, daß er eine kräftige Abreibung hinter sich hat. Seine bleiche Miene verstärkt mein Unbeha-gen.
Schon von weitem weist er mir mit schlaffem
Gestus einen Sessel zu. Mit trockener Kehle und
rauchenden Ohren nehme ich Platz.
„Da hast du dich mächtig in die Nesseln gesetzt,
Brahim!“ kanzelt er mich oberlehrerhaft ab. „Und
ich kenne kein Mittel, das gegen diese Brandblasen
hilft.“
Ich versuche, die Stirn zu runzeln – vergeblich.
Meine Stimmbänder drohen, beim geringsten Laut
zu zerreißen. Also verschränke ich nur still die
Hände und warte ab, daß das Unwetter über mich
hereinbricht.
Der Direktor greift nach einem Blatt, schleudert
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es mir ins Gesicht. Ich fange es ab und überfliege
es hastig, ohne den Inhalt recht zu begreifen.
„Vorladung zum Großen Manitu“, klärt er mich
auf. „Es spricht alles dafür, daß du dort sämtliche Federn lassen wirst.“
Ich schlucke krampfhaft.
Er fügt vorwurfsvoll hinzu: „Du bist stur wie ein
Maulesel, Kommissar. Ich habe dich oft genug
gewarnt.“
„War es das?“
„Reicht dir das nicht?“
Ich lege das Papier auf den Schreibtisch zurück
und stehe auf. Er steht ebenfalls auf, bringt mich
zur Tür. Dort faßt er mich bei der Schulter und
vertraut mir an: „Ich weiß zwar nicht, wie weit
mein Einfluß reicht, aber ich möchte, daß du weißt, daß ich meine Leute nicht so einfach fallenlasse.“
Ich nicke und entferne mich im Gefühl, einen
Weg mit ungewissem Ausgang anzutreten, auf dem
ich mich auf Schritt und Tritt ein Stückchen mehr
auflöse.
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Sobald man sich in Algier hinter seinem Schreib-
tisch hervor- oder aus seinem Loch herauswagt, ist
man in Feindesland. Man versuche bloß nicht,
beim Taxifahrer auf Mitleid zu machen, dem
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Schalterbeamten ein freundliches Wort zu entlo-
cken, das Mitgefühl des Pförtners zu wecken – es
ist schon ein Wunder, wenn er einen überhaupt zur
Kenntnis nimmt. Wo immer man sich mit seinem
Weltschmerz blicken läßt, man fühlt sich wie ein
Aussätziger. Nirgendwo zeigt sich Entgegenkom-
men. Nirgends wird einem ein aufmunterndes Lä-
cheln zuteil. Stattdessen wird man überall kurz
abgefertigt, abgewürgt und angeschnauzt, daß ei-
nem alsbald das Herz in die Hose sinkt und man
sich mit der Zeit daran gewöhnt, seine Würde an
der Garderobe abzugeben und seinen Stolz
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