Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
auf der
Fußmatte abzulegen, denn dort, wohin es einen
verschlagen hat, sollte man sich gefälligst ducken.
Als jemand, der diese Spielchen kennt, lasse ich,
kaum habe ich den Vorraum der Délégation betre-
ten, mit stoischem Gleichmut die Arroganz der
Türsteher, das Mißtrauen der Sicherheitsdienstler,
die Verachtung der Unter-Unter-Untergebenen
über mich ergehen.
Nachdem sie mich gründlich durchgecheckt ha-
ben, schubsen sie mich in eine Art Verlies und ü-
berlassen mich stundenlang mir selbst, ohne eine
Tasse Kaffee, ohne jeden Kommentar. Nicht ein-
mal einen Aschenbecher gibt es, um sich wenigs-
tens am Glimmstengel festzuhalten. Der Verschlag
ist gerade mal zwei Quadratmeter groß, trübselig,
grau, mit niedriger Decke und fensterlos: ideal, um bei einem Tier einen Koller auszulösen, bis es vor
Erschöpfung tot zusammenbricht.
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Der Herr Kabinettsdirektor entsinnt sich erst
dann meines Martyriums, als ich schon anfange,
wie ein Ragout in meiner Nachtwächterjacke vor
mich hin zu schmoren.
„Hier entlang, Monsieur Llob“, bittet mich ein
Sekretär mit der zuvorkommenden Höflichkeit des
Scharfrichters, der dem Schelm den Weg zum
Schafott weist.
Eine turmhohe Tür geht auf und gibt den Blick
frei auf einen riesigen Saal, der nur so starrt vor Trophäen, Wappen und Monumentalgemälden.
Eine Falltür, unter der mein Verderben klafft. So
kommt mir das vor. Fast hätte ich mir den Knöchel
auf dem Teppich verstaucht. Nicht wegen der ge-
stampften Erde, die ich tagaus tagein unter meinen
Füßen habe, sondern einfach, weil ich mich nie-
mals an die sumpfigen Gefilde in dieser Höhenlage
werde gewöhnen können.
Monsieur Slimane Houbel thront inmitten seiner
Kommandozentrale, umgeben von Telefonschnick-
schnack, Glückwunschkarten und angeberischen
Aktenbergen – man muß die Besucher doch glau-
ben machen, daß ein hoher Beamter bis zum Hals
in Arbeit versinkt und nicht so hopplahopp wieder
daraus auftauchen kann.
Er lockert seinen Krawattenknoten, breitet seine
Geierflügel aus und versinkt für einen Moment in
Meditation – ein Gott, der nicht versteht, warum
die Welt, die er geschaffen hat, ihm plötzlich ent-
gleitet.
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Mit mir ist gar nichts los. Immer, wenn ich vor
einem Vorgesetzten stehe, befällt mich das fatale
Gefühl, etwas Schreckliches angestellt zu haben.
Trotz meiner unterm Strich untadeligen Reputation
beschleicht mich ein vages Schuldbewußtsein, und
ich ertappe mich dabei, wie ich den Kopf einziehe,
mich geradezu demütig aufführe.
Monsieur Houbel liest in meinem Blick, wie ich
mich innerlich vor ihm ducke, fühlt sich ermutigt
und schiebt mir, statt mir erstmal einen Platz anzu-bieten, sofort ein Buch zu.
„Was soll das sein, Kommissar?“
Ich schlucke, aber der Kloß in meinem Hals löst
sich nicht auf. Nach einer titanischen Anstrengung
höre ich mich hervorpressen: „Ein Buch.“
„Diese Fäkalie nennen Sie Buch?“
Jetzt spielt mein Adamsapfel verrückt. Er setzt
sich auf Höhe meines Gaumens fest und bleibt stur
da stecken.
Slimane Houbel fletscht die Zähne mit der
Schamlosigkeit eines Esels, der den Schwanz hebt.
Er mustert mich eingehend von Kopf bis Fuß, un-
schlüssig, ob er mich anspucken oder einen Scheu-
erlappen aus mir machen soll.
„Halten Sie sich denn tatsächlich für einen
Schriftsteller, Monsieur Llob?“
Mit sorgfältig manikürtem spitzen Finger stößt er
mein Opus* [* „Morituri“, dt. im Haymon-Verlag, 1999]
von sich, als handle es sich um Unrat: „Dieses gro-
teske Machwerk hat nicht seinesgleichen, es sei
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denn die Niedertracht seines Verfassers. Sie versu-
chen die Gesellschaft, in der Sie leben, bloßzustellen und haben sich dabei doch nur selbst blamiert
und den letzten Rest Wertschätzung, den ich für
Sie noch zu haben glaubte, mit Erfolg vernichtet.“
„Monsieur …“
„Ruhe!“
Ein Spritzer Spucke landet dicht unter meinem
Auge.
Er erhebt sich. Seine wohlgenährte Statur über-
ragt mich bei weitem, läßt mich in seinem Schatten
verschwinden. Er ist der Boß. Und bei uns hat
Macht nichts mit Kompetenz zu tun. Ihre Stärke
liegt in der Bedrohung, die von ihr ausgehen kann.
Zu seiner Linken blinkt ein Licht. Er drückt auf
einen Knopf und wiehert ins Mikro: „Ich bin für
niemanden zu sprechen, Lyès. Nicht einmal für den
Raïs* [* Staatspräsident] .“
So einfach ist das!
Der Boden vibriert, als er um den Schreibtisch
herumkommt, um mir
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