Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
ins Weiße vom Auge zu
sehen. Und wenn er sich zehnmal mit Dior be-
stäubt, sein Atem wirft mich fast um.
„Ich hoffe, ich teile Ihnen nichts Neues mit, wenn
ich Ihnen sage, daß der letzte Trottel Ihr Gesudel
dem analen Stadium der Literatur zuordnen würde,
Monsieur Llob. Ihre Stilübung hat mehr mit Hirn-
wichserei als mit einem echten geistigen Impuls zu
tun. Es wäre geradezu ein Kompliment, Sie einen
Schreiberling zu schimpfen.“
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Jetzt macht er mich so richtig fertig. Das ist sein Vorrecht als Chef.
So ist das bei uns: Man kann der größte Kriegs-
held sein, doch ein niedriger Dienstgrad hat sich an den Tressen und am IQ zu zeigen. Als Untergebener hat man die verdammte Pflicht und Schuldig-
keit, seinen Geist unter Verschluß zu halten.
Ich schaue mir den Despoten an – eine reinrassi-
ge Ausgeburt der Zarenrepublik: jung, reich, breit-
schultrig genug, das himmlische Manna aufzufan-
gen, niemals gefährdet, niemals bedürftig, an je-
dem Finger eine Intrige und in jedem Palast eine
Suite, dazu zwei Füße, um mich in Grund und Bo-
den zu stampfen.
Und ich, Brahim Llob, ein Monument an Loyali-
tät, doch auf tönernen Füßen, mit achtundfünfzig
fast schon senil, bald als Sprungbrett, bald als Fuß-
abtreter mißbraucht, ich, der ich meine Nächte in
kalten Autos und meine Tage am Schießstand
verbringe, ich stehe stramm und lasse mich fertig-
machen wie ein Köter, ich, der ich fröhlich jeden
Tag, den Gott geschaffen hat, meine Haut riskiere,
damit Heuchler wie er, undankbar und selbstherr-
lich, weiterhin ungestraft wüten können.
Slimane Houbel nimmt sich Zeit, ein Staubkörn-
chen von seinem Hemd zu entfernen. Er benetzt
einen Finger mit der Zungenspitze und macht sich
daran, es mit umständlicher Besessenheit wegzu-
putzen.
Er brummt: „Monsieur le Délégué hat mich be-
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auftragt, Ihnen mitzuteilen, wie sehr die Lektüre
Ihres Machwerks ihn angewidert hat. Wären da
nicht Ihre langen Dienstjahre und Ihre Vergangen-
heit als Freiheitskämpfer …“
„Monsieur Houbel“, unterbreche ich ihn aufge-
bracht, „warum haben Sie mich kommen lassen?“
Da fährt er auf, der Herr Kabinettschef. Seine
Brauen ziehen sich zusammen, seine Nüstern be-
ben wie der Beutetrichter eines Ameisenlöwen.
„Ja, was glauben denn Sie, Kommissar, weshalb
Sie hier sind? Haben wir früher vielleicht zusam-
men Kühe gehütet?“
„Sie sagen es.“
Er merkt, daß ich anfange, die Situation in den
Griff zu kriegen, und ist eine Spur verunsichert. Er weicht meinem Blick aus und klopft auf das Buch:
„Was soll dieser Mist?“
„Das ist kein Mist!“
„Und ob! Ein Riesenmist sogar, mit sämtlichen
Ingredienzien: Schamlosigkeit, Dämlichkeit …“
„Ich schulde Ihnen Rechenschaft als Polizist,
nicht als Schriftsteller.“
„Schweigen Sie!“
Einen Millimeter näher heran, und sein Gesabber
wäre mir voll ins Auge gespritzt.
Ich habe die Kanonen der Artillerie donnern hö-
ren, doch Slimane Houbels Gebrüll ist weit ein-
drucksvoller: Er verfügt über die Abschreckungs-
gewalt des Amtsmißbrauchs.
Er schnäubt sich geräuschvoll, um seine Wut ein-
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zudämmen. Seine Augen springen gleich auf mich
los: „Ich erinnere Sie daran, daß Sie Staatsbeamter sind und sich folglich eine gewisse Zurückhaltung
auferlegen sollten. Wir haben Ihnen bislang er-
laubt, Ihre Eseleien zu veröffentlichen, doch wir
sind nicht bereit, Verirrungen solchen Ausmaßes
hinzunehmen. Sie sind zu weit gegangen. Sie ha-
ben sich viele Leute zu Feinden gemacht. Niemand
wäre jetzt gern an Ihrer Stelle, nicht um allen Dich-terlorbeer der Welt.“
Er ist widerwärtig puterrot angelaufen.
„Ihr Machwerk ist schändlich, einfach abscheu-
lich. Ich habe schon immer gewußt, daß Sie bloß
ein abgedrehter Phrasendrescher sind, ein übereif-
riger Schreiberling, aber wie hätte ich ahnen kön-
nen, daß Sie sich zu solchem Schwachsinn verstei-
gen …! Ich bin überzeugt, daß Sie sich in Ihrer
Naivität nicht einmal der Tragweite Ihrer Phantas-
tereien bewußt sind.“
Weißschäumender Schleim breitet sich in seinen
Mundwinkeln aus, und sein stinkender Atem
kriecht bis in den letzten Winkel des Raumes.
„Daß Sie ein unfähiger, frustrierter Griesgram
sind, gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, Ihre
Vorgesetzten zu verleumden und Ihr Land in den
Schmutz zu ziehen. Sie in Ihrer Position sollten
schließlich Schwarz und Weiß unterscheiden
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